berliner szenen: Anstehen mit größtem Vergnügen
Ein Mini-Klassentreffen im Park. Vier alte Schulfreunde haben sich verabredet, einer hat seine Frau und die kleine Tochter mitgebracht. Sie wollen sich von den anderen verabschieden, weil sie für einige Jahre auf Haiti arbeiten werden. Einer der Freunde kennt sich aus. Er klärt die anderen über Klimaverhältnisse und Essgewohnheiten auf, die Verkehrslage, über Do's und Don’ts auf Haiti. Die andern werden unruhig bei diesem Redeschwall, zumal der Eifrige besonders laut spricht. Sie wussten gar nicht, dass er mal auf Haiti war. War er auch nicht. Er hat eine Arte-Doku gesehen. „Wisst ihr eigentlich, was aus Tobi geworden ist?“, versucht einer das Thema zu wechseln. Na klar, der Eifrige bringt die anderen gern auf den neuesten Stand: Arbeit, Trennung, Unfall, Ortswechsel. Die Frau in der Runde hat längst abgeschaltet, sie versteht sowieso nicht viel, wenn die Schulfreunde in ihrem Dialekt sprechen. Ist das saarländisch?
Jetzt entziehen sich auch die Männer dem alten Mitschüler, indem sie, wie auf ein Zeichen, aufspringen und gemeinsam Getränke holen. Vergnügt stehen sie in der Schlange, plaudern, lachen. Nur keine Eile. Der sitzen gebliebene Auskenner schaltet jetzt ins Hochdeutsche um – kein Entkommen für die Frau, die mit der Tochter schon lange Tierquartett spielt. Er hat entdeckt, dass sie schwanger ist, und fragt, ob sie das Geschlecht des Kindes schon wisse. Dass sie einen Jungen bekommen, kann er nur begrüßen, geradezu ideal, findet er, weil sie doch schon ein Mädchen haben. Wenn der Junge nämlich in die Pubertät kommt, ist er durch seine Schwester ja schon mit dem andern Geschlecht vertraut. Er muss gar nicht mehr den kleinen Macker rauskehren und sich produzieren, um ein Mädchen kennenzulernen.
Der Auskenner hat bestimmt keine große Schwester. Claudia Ingenhoven
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