berliner szenen: Leise sagt er das böse Wort
Nachdem ich glücklich alles gefunden hatte, was ich hatte einkaufen wollen, stand ich in der langen Schlange vor der Kasse, die ohne mein Zutun kürzer wurde, weil daneben eine neue Kasse aufmachte. Vor mir war das ganze Band voller Waren. Die Kleinfamilie kaufte ein. Der Kassierer preiste konzentriert die Waren ein, konzentriert tat die Frau sie in den Einkaufswagen, in dem auch ein kleiner blonder Junge ohne Maske saß. Leise, als probiere er das Wort zum ersten Mal aus, sagte der Junge das böse Wort.
Der Kassierer preiste die Waren zu Ende ein, legte kurz seine Hand auf die Hand des kleinen Jungen, und beschwerte sich dann mit ruhiger Stimme bei den Eltern. Die Frau sagte, das könne nicht sein, er müsse sich verhört haben. Ein solches Wort würden sie nie benutzen. Der Junge sei erst zwei und könne es gar nicht kennen. Vielleicht hätte er „mega“ gesagt, weil sie so viel eingekauft hatten.
Der Kassierer sagte, doch, der Junge habe genau dies Wort gesagt, und ich dachte, der Junge sieht älter aus als zwei. Der Frau war alles wahnsinnig peinlich. Sie entschuldigte sich, bestritt aber weiter, dass ihr Sohn das Wort gesagt habe. Kurz sprach sie noch mit ihrem Mann – war’s jetzt Polnisch oder Russisch? – dann bezahlten sie und gingen. In allen Einzelheiten hatte ich die Szene nicht mitbekommen, das Wort war mit einer kleinen Verschiebung in der Erinnerung bei mir angekommen und dann erst wirklich geworden.
Mir imponierte die Ruhe, mit der der Kassierer agiert hatte, fand es dann aber irgendwie unpassend, paternalisierend, ihm das sagen. Auf dem Rückweg dachte ich an den ersten schwarzen Mann, den ich als Kind gesehen hatte. Das war, als ich von einem Baum gefallen war und mir den Arm gebrochen hatte. Der Mann hatte mich ärztlich behandelt und mir dabei beruhigend, wie der Kassierer dem Jungen, die Hand auf den Arm gelegt. Detlef Kuhlbrodt
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