berliner szenen: Nur Tulpen und Schnäpse
Es ist Samstagabend, und ich hab die Nase voll vom Ku’damm mit seinen vielen Menschen und Geschäften, mit seinen vielen geschäftigen Menschen. Ich brauche dringend Bier – und Fußball. Also suche ich mir die erstbeste Kneipe, die beides kann. Fünf Minuten Fußweg später betrete ich sie: eine urige Kiezkneipe.
Drinnen ist es neblig, der Rauch der Kippen bestimmt auch den Duft. Ich mag ihn, den Zigarettenduft, auch wenn ich aufgehört habe zu rauchen. Ich setze mich auf einen freien Barhocker. Vor mir auf dem Tisch greife ich zuallererst in einen Teller voller Erdnussflips. Zu meiner Überraschung sind sie tatsächlich noch knusprig. Ich bestelle ein gezapftes Schultheiss. Ich möchte gerade zum Trinken ansetzen, als ich sehe, wie mir eine alte Frau zuprostet. Sie lächelt nicht. Ich proste ihr auch zu und trinke. Die Frau zieht an ihrer Zigarette und schaut nicht zu mir, sondern ins Leere. Vor ihr steht eine halbleere Tulpe, daneben ein klarer Schnaps. Während ich das Spiel verfolge, blicke ich immer wieder zu der Frau. Sie trinkt und raucht und trinkt und raucht, ohne Unterlass. Zumindest sehe ich sie immer nur trinken oder rauchen. In der zweiten Halbzeit bestellt die Frau die Rechnung, zahlt und bläst die Kerze auf dem Tisch aus. So, als ob die Kerze nur für sie gebrannt hätte. Irgendwie traurig, denke ich, und versuche, noch mal Blickkontakt aufzubauen, aber vergebens. „Bis morgen“, sagt die Frau beim Hinausgehen zum Kellner.
Als sie weg ist, steht ein älterer Mann am Nebentisch auf und schaut in den Aschenbecher, in den die Frau hineingeascht hat. „Sechs Zigaretten hat die in einer Stunde geraucht. Sechs Zigaretten...“, sagt der Mann ganz aufgebracht zu seinem Begleiter. Und der, der zuckt nur mit den Schultern. Und ich, ich bestelle noch ein neues Schultheiss.Eva Müller-Foell
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