berliner szenen: Might be hard to imagine
Die Straße, in der ich lebe, liegt nicht in Neukölln. Sie ist kaum befahren. Die Straße, in der ich lebe, hat weder Geschäfte noch Gastronomie, von einem Späti abgesehen, der am frühen Abend schließt. Aber nachts wird diese beschauliche Straße zur Partymeile. Jugendliche ziehen von Park zu Park an unserem Haus vorbei. Mit Bierkästen, lauter Musik, oft bis zu 50 Leute. Es nervt.
Letzte Nacht war es wieder so weit. Ich saß senkrecht im Bett, es war unerträglich laut. Ein Blick auf den Wecker: zwanzig nach drei. Um die Zeit liegen normalerweise selbst die jungen Menschen komatös auf den Wiesen im Bürgerpark. Oder zu Hause in ihren Betten. Der Lärm bewegte sich auch nicht wie sonst in Richtung Park, sondern ging konstant von einer Stelle aus. Vom Balkon aus sondierte ich die Lage: Die Partygeräusche kamen aus der Hochparterrewohnung im Haus gegenüber, wo vor einigen Wochen neue Mieter eingezogen waren. Bislang saßen die höchstens mal abends mit Gitarre auf dem Balkon. Aber das hatte jetzt andere Qualitäten. Schnell was übergezogen und ab über die Straße: Vier Männer um die dreißig saßen da zusammen, diskutierten laut auf Englisch, aus dem Wohnzimmer dröhnte gerade „Let.’s twist again“. Ich klopfte vorsichtig mit dem Schlüssel an den Gartenzaun und sagte so was wie „Sorry, it might be hard to imagine, but I have to work tomorrow.“
Einer stand auf und sah zu mir runter. „Leiser machen?“, fragt er sehr höflich. Ich nickte und lächelte ihm zu, ebenfalls sehr höflich. Zwei Minuten später lag ich wieder im Bett, Musik und Gespräche waren verstummt. Da hörte ich ein Zischen und Fauchen wie im Dschungel. „Gruselig“, sagte mein Mann im Halbschlaf. Ich lag noch lange wach, Beim ersten Vogelgezwitscher zum Sonnenaufgang muss ich wieder eingeschlafen sein.
Gaby Coldewey
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