berliner szenen: Das neue Bett ist eine Liegewiese
Wir haben ein neues Bett. Es ist riesig. Zwei Drittel unseres Schlafzimmers sind jetzt Liegewiese. Wenn Paul und ich Sex haben wollen, verabreden wir uns vorher telefonisch, damit wir uns zwischen den Kissen finden. Das Kind kann nun bis zum Abitur quer zwischen uns schlafen und trotzdem haben alle genug Platz. Dachte ich zumindest.
„Du musst ihn schon wegschieben, wenn er sich auf dich rollt“, sage ich. „Aber er ist so niedlich“, jammert Paul. Er hat seit gestern eine Platzwunde auf der Nasenwurzel, wo das Kind ihm beim Spielen einen Messbecher aus Plastik drauf geknalllt hat. Mit voller Wucht, von oben, wie ein Fallbeil. Das Nasenbein ist geschwollen.
Das Bett hat so viel Geld gekostet, dass uns beim Kauf Anfang Januar ganz übel geworden ist. Aber wir dachten ja, ich verdiene viel Geld mit Lesungen dieses Jahr. Es gibt aber schlechtere Gründe, Pleite zu gehen, als guten Schlaf. Wir hatten gar nicht erwartet, dass die Firma überhaupt liefert. Jetzt mit der Pest und so.
Wolfgang Hildesheimer schreibt in „Tynset“ über ein Bett: „Da steht es, in der Mitte des Raumes, der nur ihm gehört. Es ist so groß, dass es sieben Schläfern Platz zu ausgestrecktem Schlaf und zu jäher traumbedingter Bewegung bietet, ohne daß diese sieben einander wesentlich ins Gehege kämen, es sei denn auf Wunsch, aber der Wunsch wäre wohl mehr eine Sache des Wachens.“
Und dann erzählt er von einer Nacht „im frühen Sommer des Jahres 1522“, als das Bett in einem englischen Gasthof stand und an Reisende zu Siebteln die Nacht vermietet wurde; als darin lagen: ein sündiger Mönch, eine alternde Kurtisane, ein lüsternes Müllerpaar, ein kranker Soldat, ein gefallener Edelmann und ein mörderischer Lautenspieler. Am Schluss sind alle tot. Schöne Geschichte. Lea Streisand
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