berliner szenen: Nicht an Langeweile gestorben
Wollen wir noch mal zusammen spazieren gehen, bevor die Ausgangssperre kommt?“ schreibt C. Unklar, ob das lustig gemeint ist. Ich merke, wie Torschlusspanik in mir aufkeimt. Bin frustriert, weil ich gerade zum dritten Mal in zwei Tagen die Supermärkte in der Gegend vergeblich auf der Suche nach Klopapier abgeklappert habe. Wir haben keins mehr, weil wir Hamstern doof fanden. Schön blöd. Ich muss dringend mal was anderes machen. „Unbedingt!“, texte ich zurück. „Warst du schon mal auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee?“ Da wollte ich eh immer schon hin.
Auf dem Friedhof ist es schön und fast menschenleer. Statt uns zur Begrüßung zu umarmen, winken wir uns aus mittlerer Distanz zu. Auf dem Rundgang über das weitläufige Gelände geht eine links vom Weg, eine rechts. Nur dreimal im Laufe einer halben Stunde begegnen uns Menschen: ein junges Pärchen, das flaniert, drei ältere Damen, die auf einer Bank sitzen, und ein Friedhofsgärtner.
Der Friedhof besteht überwiegend aus überdimensionierten Grabmalen aus dem 19. Jahrhundert, die mit Efeu überwuchert sind. In seiner Mitte ist Platz geschaffen worden für frische Gräber. Auf grüner Wiese und beschenkt mit bunten Blumen liegen hier vor allem Verstorbene mit russischen Wurzeln. Die Mehrheit der Grabsteine tragen kyrillische Schriftzeichen, viele sind mit Widmung oder Motto versehen. „Liebe Mama, danke für alles, dein Mischa“ steht da oder einfach „Ein anständiger Mensch“. Über einen ist gar zu erfahren: „An Langeweile ist er nicht gestorben.“
Der Ausflug hat gut getan. Als ich nach Hause komme, ist der Sohn stolz, weil es ihm gelungen ist, Küchenpapier zu ergattern. Die Tochter hat ein prima Meme gefunden: Gollum, der eine Rolle Klopapier anschmachtet: „My precious!“ Katharina Granzin
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