berliner szenen: Knapp sitzende Höschen
Gestern. Ein großes Berliner Krankenhaus, Rettungsstelle, Freitagabend. Ich bin Ärztin. Das ist so etwas Ähnliches wie Arzt. Ich sehe in einer Nacht mehr nackte Menschen als ein Türsteher im Berghain. Oder wahrscheinlich genauso viele. Denn die meisten gehen erst ins Berghain und dann zu uns. Heute sind es fünf Australier, und sie sind nackt, bevor ich sie bitte, sich auszuziehen. Das ist mir recht, denn die Aufforderung, sich zu entkleiden, geht mir nur auf Deutsch professionell von den Lippen. In der Fremdsprache fehlen die Feinheiten und irgendwie klingen selbst die banalsten Dinge nach Sex. Französisch beispielsweise. Egal, was ich sage, es schwingt immer ein „Voulez vous coucher avec moi?“ mit. Auch Spanisch ist schwierig, ich sage „Hola, buenos días“, und schon haben Penelope Cruz und Javier Bardem vor meinem geistigen Auge den Sex ihres Lebens. Sogar einen Engländer habe ich neulich verwirrt: „Would you mind to get naked?“, fragte ich. „Not at all“, sagte er, ließ Marvin Gaye übers Handy laufen und öffnete seine Gürtelschnalle.
Was zur Hölle aber passiert in Englands Rettungsstellen, wenn ein Striptease gedanklich so nahe liegt?
Die fünf Australier halten jetzt züchtig ihre Hände vor den Schritt.
„Wo tut es weh?“
„Es tut nicht weh. Unsere Hosen sind weg.“
„Und was soll ich da machen?“
„Uns ein paar ausleihen.“
Manchmal liebe ich meinen Beruf.
„Rosa?“ Entsetzte Blicke, als ich zurückkomme. „Ihre ist doch aber blau!“ „Blau war aus“, lächle ich und reiche jedem eine rosa Hose in XS. Es ist ein Bild für Götter, als die fünf in ihren knapp sitzenden Höschen die Rettungsstelle verlassen. Schade fast, dass sie später in Friedrichshain unter den ganzen Junggesellenabschieden gar nicht auffallen werden. Eva Mirasol
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen