berliner szenen: Du arbeitest gerne nachts
Mit meinem Sohn bringe ich die Tochter zu ihrer Freundin nach Schmöckwitz und trinke noch einen Kaffee mit deren Eltern im Garten. Dabei erzähle ich ihnen, wir würden nun zu einem Obsthof fahren wollen, um Pflaumen zu pflücken. Die beiden lachen auf, zeigen auf einen Baum, der in der Ecke des Gartens emporragt, und sagen: „Könnt ihr auch hier machen!“ Wir lehnen dankend ab und fahren weiter.
Wir parken kurz vor Ahrensfelde bei einer Bäckerei neben einem VW Golf. An der Heckscheibe ist ein Wimpel der DDR-Fahne befestigt. Vor dem Eingang des Ladens steht ein Aufsteller, auf dem in Kreide geschrieben ist: „Mittagstisch“, darunter „Coffee to go: 0,2 l nur 1 Euro“, daneben steht ein Plastiknapf, gefüllt mit Wasser, auf dem „Hunde-Bar“ steht. An der Tür hängt ein Zettel. „Ausbildung zur Bäckerin – Du bist zuverlässig, arbeitest gern nachts“, weiter lese ich nicht. Während wir ein Stück Kuchen essen, erzähle ich dem Sohn, dass ich als Kind oft auf Pflaumenbäumen kletterte, da der Neubau, in dem ich groß wurde, auf dem Gelände einer ehemaligen Gärtnerei errichtet wurde und seitlich des Bolzplatzes Obstbäume standen. Er nickt und sieht mich an, wie er mich ansieht, wenn er etwas völlig uninteressant findet.
Ich gehe wieder in den Laden und frage die Verkäuferin nach dem nächsten Geldautomaten. „Straße rechts, runter, auf der linken Seite“, sagt die Frau, die sich einen Kaffee bestellt hatte, der gerade aus der Maschine stöhnt. Sie trägt ein rotes T-Shirt, auf dem ein weißes Kreuz ist. Ich wundere mich kurz darüber, warum jemand in Ahrensfelde ein T-Shirt mit Schweizer Flagge trägt, und denke dann, warum auch nicht? Als sie sich dem Kaffee zudreht, lese ich auf der T-Shirt-Rückseite „Heirate mich – ich bin Arzt“. Wir fahren zu den Pflaumen. Björn Kuhligk
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