berliner szenen: Man will ja nicht rumstressen
Im Durchgang an der Neuen Welt zwischen der Zufahrt zum Parkplatz und der Konzerthalle kann man das Rad gut mal schieben. Oder aber, wenn man wie ich ein Meister der Umsicht und Achtsamkeit ist, das kurze Stück auch vorsichtig fahren, schließlich nimmt man so weniger Platz weg, als wenn man schiebt. Natürlich nur in Schrittgeschwindigkeit und ohne zu drängeln. Die Radler, die auf Gehwegen an Fußgängern vorbeirasen oder hinter ihnen klingeln, gehen gar nicht.
Diesmal kostet es mich allerdings viel Überwindung, nicht rumzustressen. Denn vor mir sind die zwei langsamsten Menschen der Welt unterwegs, Mutter und Tochter wohl. So etwas hätte ich nicht für möglich gehalten, eine Vorwärtsbewegung ist mit bloßem Auge praktisch nicht wahrnehmbar. Die Havel fließt schneller, Schnecken in Zeitlupe wirken rasant dagegen. Warum errichten die nicht gleich Barrikaden und zünden sie an? Alles staut sich nun an dem Engpass, die Verrichtungen mehrerer dutzend Bürger sind auf unabsehbare Zeit auf Eis gelegt. Die Welt steht still.
„Was fällt Ihnen ein, den Kopf zu schütteln?“, schreit es da hinter mir. „Was für eine Unverschämtheit!! Das ist kein Radweg hier!“
Ich muss wohl, in leisem Gram über die Lebenszeitverschwendung, die übrigens genauso eingetreten wäre, schöbe ich denn das Rad, leicht den Kopf geschüttelt haben. Das aber darf ich nicht. Ich habe dazu keinerlei moralische Berechtigung. Die würde mir erst der Einklang meines Handelns mit der StVO verschaffen. Dabei spielt keine Rolle, dass sie meine Ungeduld in ihrem Rücken gar nicht mitbekommen konnten und dass die Geste nur der eigenen Seelenerleichterung diente.
Ich drehe mich um und sehe eine Frau, die nunmehr feststellt, dass ich ein Arschloch sei. Das mag ja sein. Aber der Grund dafür ist sicher nicht dieser. Uli Hannemann
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