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berliner szenenUnd siedecidetdann

Die U6 ist gewissermaßen auch ein Laufsteg. Alle zeigen, was sie haben. Wenn die Bahn Berlin von Nord nach Süd und zurück durchquert, ist das auch ein modischer Wettbewerb. In der Mitte des Wagens steht ein edler, älterer Mann mit traurigem Blick. Der Look ist ganz Charlottenburg: Breiter Hut und tiefschwarzer Mantel mit aufdringlichem Künstlerschal. Man riecht einen Hauch zu viel Eau de Cologne.

Ihm gegenüber steht eine wesentlich jüngere Frau. Cropped Pants und edle Turnschuhe, hochgebundenes Haar mit langem Pony und ein leichter grauer Mantel, bedeckt durch einen dicken Wollschal. Mitte-Style. Die Marke der Schuhe ist verborgen, aber Kennerinnen und Kenner wissen Bescheid.

Kurz vor der Französischen Straße nimmt der Mann seinen Mut zusammen. Er beugt sich, so charmant er kann, nach vorn.

„Sagen Sie, es ist noch Fashion Werk in der Stadt, ja?“ – „Äh, weiß nicht.“ – „Nun, Ihre Kleidung ist so besonders. Und, was ich sehen kann, auch Ihr Körper. Ich vermute, Sie gehören zu den neuen Pure-Spirit-Models. Ja? Es fasst mich sehr an gerade.“

Die Frau macht eine waschende Handbewegung über die Stirn. „Äh, ich glaube, Sie fassen sich besser alleine an.“ Sie weicht zurück.

Zwei Jungen, eindeutig auf der Durchreise von Tegel nach Tempelhof, beobachten das begeistert. Einer sagt: „Ay yo man! Coole Anmache! Aber zu viele Wörter! Du musst sagen: Baby, Baby nice! Und dann schickst du Profil durch Handy. Klar? Sie decidet dann. Sonst so viel Zeit ohne Profit, weißt du?“

Ein weiterer Mann schaut und hört atemlos zu. Die Frau neben schlägt ihm gegen das Schienbein. „Was glotzt du da so hin?“ – „Wie schau ich denn?“ – „Wie ein Fernseher, den man vergessen hat auszumachen. Seit wir in Berlin sind, benimmst du dich wie ein kleines Kind!“

Theresa Heinewald

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