berliner szenen: Herzblut meiner Fantasie
Ich sah auf mein Handy und dachte an Linda. Für den Namen konnte sie nichts, und ich auch nicht. Ich hatte überlegt, ihr einen anderen Namen zu geben, aber warum: Sie war Linda, und sie blieb es auch. Eine Frau, die es liebte, offene Cardigans zu tragen, eine Frau mit Knien, die wie Kniekehlen aussahen, eine Frau, von der ich nicht sagen konnte: „Ich habe sie vom ersten Augenblick an geliebt.“ Aber eine, bei der ich mich fragte, warum ich es nicht verdient haben sollte, mit ihr zusammen zu sein.
Sie hatte, zwei Monate bevor ich sie kennenlernte (gesehen hatte ich sie schon vorher, auf einem Pressetermin), einem neobourgeoisen Trend folgend, standesamtlich geheiratet, an einem verschwitzten Tag im Juli, und jetzt hatte sie mir gestanden, schwanger zu sein, von ihrem Gatten, nicht von mir. Jetzt sollte aus dem Ehepaar eine ordentliche Kleinfamilie werden, mit allem Drum und Dran, Erbe, Eigentumswohnung in der Vorstadt, Kinderkrankheiten und Rentenbezüge. Natürlich hatte ich das alles kommen sehen. Ich hatte vage mögliches Handeln angedeutet, leise Ansprüche angemeldet, aber sie nahm irgendwann nicht einmal mehr ihren Ehering ab, wenn sie mich sah. Es hatte sich alles eingespielt, niemand ging ernsthaft von einer Veränderung aus.
Ich stellte sie mir mit Häubchen vor. Mit einem roten Kreuz auf der Vorderseite. Die warmblütige Linda mit den dunkel behaarten Unterarmen, die mir die Ärmel hochkrempelt, um eine Blutabnahme vorzunehmen. Es gab eine Aufnahme, die sie ungezwungen auf einer feuchten Wiese sitzend, sich eine Zigarette drehend zeigte. Da trug sie eine Papierkrone auf dem Kopf. Ich stellte sie mir in Rock und Strumpfhosen vor, während ich feststellte, dass ich von den letzten vier gelesenen Seiten kein Wort verstanden hatte. Verliebt sein, so ein antiquierter Ausdruck.
René Hamann
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen