berliner szenen: Regen und schlechte Laune
Es regnet, und Berlin hat schlechte Laune. Der Müllmann schnauzt seinen Kollegen an, der Nachbar seinen Hund. Ich habe schlechte Laune, weil ich U-Bahn statt Fahrrad fahren muss, die Frau neben mir in der Bahn ärgert sich über einen Fleck auf ihrer Bluse.
Der U-Bahn-Fahrer ist genervt, weil die Technik nicht funktioniert. „Ausstieg links“, säuselt die blecherne Ansagestimme, „Nein, rechts“, donnert der Fahrer durchs Mikrofon. Das dazu passende „Alter“ sagt er nicht, es schwingt in seiner Stimmlage trotzdem mit. Der Geschäftsmann hat schlechte Laune, weil bei der U-Bahn auf der Rolltreppe das Prinzip „Links gehen, rechts stehen“ immer noch nicht klappt, die ältere Frau meckert, weil ihr hektische Arbeitstiere im Sprint ihre Taschen an den Rücken schleudern. Die Frau in der Bäckerei mit den langen, bunt lackierten Nägeln hat jeden Tag chronisch schlechte Laune, auch heute hört man von ihr statt einem „Was darf’s sein?“ nur ein knappes „Ja? Bitte, was?“ Der Hipster entknotet genervt seine Ohrstöpsel, die Touri-Gruppe steht nass und verwirrt vor dem Bahnplan. Erschöpft stapfe ich die Treppe der U-Bahn hoch, natürlich nicht, ohne hörbar aufzustöhnen, weil irgendwer verplant im Weg rumsteht.
Gerade hat es aufgehört zu regnen. Die Sonne kommt raus, und wäre es nicht so ein hundsmiserabler Morgen, sähen die nass glitzernden Pflastersteine vermutlich ganz hübsch aus. „Philipp, aber nicht so schne–“, platsch. Mich treffen Wassertropfen an der Wange, ich drehe mich um. Hinter mir, in einer riesigen Pfütze, springt ein vielleicht Dreijähriger auf und ab. Seine roten Gummistiefel quietschen bei jeder Wasserberührung, er quietscht freudig mit. Ich schaue vom Sohn zur Mutter. Wir müssen lachen, und der Junge lacht mit. Gut, dass nicht ganz Berlin schlechte Laune hat. Linda Gerner
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