berliner szenen: Hier kommt die Sonne
Es ist einer dieser viel zu warmen und regenfreien Tage, die seit Mai für Furcht und Schrecken sorgen, da Ernteausfälle und sonstige Dürre drohen. Also herrliches Wetter. Volle Straßen, auch auf der Friedrichsbrücke an der Alten Nationalgalerie, die Bodestraße und Anna-Louisa-Karsch-Straße verbindet, drängen sich Fußgänger und Radfahrer. Am Geländer steht ein Straßenmusiker, fortgeschrittenes mittleres Alter, mit elektrischer Gitarre. Er singt, vermutlich weil das zu den herrschenden klimatischen Verhältnissen zu passen scheint, „Here Comes the Sun“.
Man muss die Beatles ja nicht mögen. Gibt schließlich genügend ältere und jüngere Semester, die sich von ihrem Pop unverbesserlich anstecken lassen. Was dieser Herr aber mit dem Lied anstellt, dürfte bei Freunden wie Feinden der Fab Four gleichermaßen für Unmut sorgen. Es klingt sehr schief und leider gar nicht charmant oder anderweitig einnehmend.
„Dafür soll dich der Blitz treffen!“, durchfährt es mich im Vorüberfahren. Fast im gleichen Moment meldet sich auch schon das schlechte Gewissen: Bringt ganz bestimmt schlechtes Karma, so etwas bloß zu denken, lautet der Vorwurf an die eigene Adresse. Und was, wenn gegen alle meteorologische Wahrscheinlichkeit auf einmal wirklich eine Funkenentladung auf die Brücke niedergehen und den Mann mit sich reißen sollte? Wäre das dann Anstiftung?
Mit den Überlegungen im Kopf geht es über die Brücke und an der Alten Nationalgalerie vorbei. Aus deren Kolonnadenhof erklingt schon gleich die nächste vertraute Melodie, diesmal von einer einsamen Geige gekratzt, die „Yesterday“ spielt. Jetzt traue ich mich schon gar nicht mehr zu denken, sondern nehme das Geschehen einfach so zur Kenntnis. Bestimmt wird jemand vorbeikommen und Gefallen daran finden. Tim Caspar Boehme
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