berliner szenen: Dramatisches in roten Samt gepackt
Gegenüber der Kulturbrauerei befindet sich eine Bar mit Samtwänden. Durch eine kleine Tür und den schweren Vorhang dahinter tritt man in den dunklen, verrauchten Raum mit der holzgetäfelten Bar. Hinter dieser thront meistens eine schön gealterte Frau auf einem Barhocker und überblickt ihr Reich mit einer Zigarette im Mundwinkel. Wenn ich zum Bezahlen mein leeres Bierglas mitbringe, lächelt sie gebieterisch: „Danke, Schätzchen.“
Geht man durch den Raum, dann gelangt man in ein mit dunklem Holz und rotem Samt verkleidetes Hinterzimmer. An der Wand steht ein ausgedientes Klavier. Auf die kleinen Holztische sind Schachbretter gemalt. Die Decke ist mit Goldfolie beklebt, die roten Wände glühen im Kerzenschein.
Kurzum, die Bar ist die perfekte Kulisse für dramatisch-obskure Szenen.
Vor Kurzem saß ich mit einem Freund am hintersten Tisch neben dem Klavier. Wir erzählten uns gerade von unseren letzten Post-Blamagen. Ich hatte mir ein Retourpaket aus Versehen wieder selber zugeschickt. Er hatte dreißig Minuten und die Hilfe von drei Angestellten benötigt, um einen Umschlag abzusenden. Währenddessen hatte sich ein junger Mann mit schwarzem Mantel und einem leidenden Ausdruck an den benachbarten Schachbretttisch gesetzt. Er saß dort, ohne den Mantel abzulegen, eine halbe Stunde, bis sich ihm eine junge Frau mit Pelzkragen gegenübersetzt. Ohne Begrüßung schauen sie sich schweigend an und bestellen Rotwein. Dann entbrennt ein leiser und nervenzerrüttender Streit, der unser Gespräch stocken lässt und uns in seinen Bann zieht.
Nach einer unendlichen Weile angespannten Schweigens steht der junge Mann wortlos auf und verschwindet. Die Frau mit Pelzkragen zündet sich zitternd eine Zigarette an.
Wir atmen auf: Bars mit samtroten Wänden verlangen einfach nach solchen Szenen. Marlene Militz
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