berliner szenen: Holz hacken und ständig heizen
Bis zu minus 20 Grad waren die Temperaturen meines ersten Berliner Winters, 2010. Mir war sogar in den Augen kalt und ich hatte das Gefühl, dass die Wörter, sobald sie meine Lippen erreichen, erfrieren würden. Deshalb schwieg ich meistens, wenn ich draußen war.
Ich wusste nicht, wie man sich am besten gegen die Kälte kleidet, und so zog ich alles an, was ich hatte, und sah wie das Michelin Männchen aus. Mir war immer noch kalt, denn die Klamotten waren so eng, dass keine Luft mehr dazwischen passte. Ich wohnte in einem Wagenplatz in Kreuzberg. Man musste Holz hacken und ständig heizen. Einmal übernachtete ich drei Tage bei einer Freundin, und als ich nach Hause zurück kam, hatte sich meine Wärmflasche in einen Eisblock verwandelt. Die Bettlaken waren ebenso steif, und die Katze, die bei mir schlief, hatte zum Glück irgendwo anders Schutz gefunden.
Das Wasser war im Winter abgestellt, um zu spülen mussten wir Wasser in einem Topf kochen und zum Duschen gingen wir ins HeileHaus in der Waldemarstraße. Dort gab es mehrere Duschkabinen und eine Badewanne, alles ohne Vorhänge. Ich war noch nie in der Sauna gewesen, und das war das erste Mal, dass ich mit fremden Menschen zusammen duschte. Das gefiel mir.
Meistens war ich an Frauentagen da und nach einer Weile kannte ich vom Sehen manche Besucherinnen. Eine Frau summte immer irgendwelche Lieder vor sich hin, eine andere kämmte ihre langen rote Haare vor dem beschlagenen Spiegel, das Fenster war auch beschlagen. Wir redeten nie miteinander, aber bei ihnen fühlte ich mich geborgen.
Seitdem finde ich, dass der Berliner Winter kein richtiger Winter ist. Nie wieder war mir so kalt, nie wieder hatte ich es so gemütlich.
Luciana Ferrando
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