berliner szenen: Gute Bilder lieferten die Kameras
Es war ein Herbstsonntag, an dem die Sonne mit all ihren Strahlen von einem azurblauen Himmel herab auf die Erde strahlte und die Temperatur auf 20 Grad steigen ließ. Ich stand an einer Haltestelle der Tram 5 in der Degnerstraße in Alt-Hohenschönhausen und las auf dem iPhone, dass die Straße nach Friedrich Degner benannt ist, der Vorsteher und technischer Leiter des Betreibers der Straßenbahn Berlin-Hohenschönhausen war, deren Betriebshof sich in ebender Degnerstraße befand.
Es war einige Wochen nach der Bundestagswahl, und von blühenden Landschaften in diesem Teil von Ostberlin war – wie auch schon vor der Wahl – nicht viel zu sehen.
Während ich auf die Straßenbahn wartete, schaute ich mich um, und dabei sprang mir ein A4-Aushang an einer gläsernen Seitenwand der Haltestelle ins Auge. „Gier frißt Hirn“ stand in fetten schwarzen Lettern als letzte Zeile auf dem Papier. Neugierig näherte ich mich. „Ich habe am Freitag im dm-Markt mein Samsung Tablet liegen gelassen“, las ich auf dem fein säuberlich auf dem Computer ausgedruckten Aushang. „Die Überwachungskameras zeigen Sie deutlich beim Finden, Mitnehmen und Verlassen des Marktes!“
Die Verben Finden, Mitnehmen und Verlassen waren anklagend in Großbuchstaben verfasst. Weiter hieß es in dem an den Dieb gerichteten Schreiben: „Sehr gute Bilder lieferten die Kameras auch von Ihrer Frau (Brille, hochgesteckte Haare) und Ihrer Tochter (etwa 10 Jahre, weißes Basecap), die, vorher am Einkaufswagen wartend, dann mit Ihnen zusammen den Einkauf bezahlen. Ich brauche das Tablet dringend beruflich!“
Nach und nach füllte sich die Haltestelle, doch außer mir interessierte sich niemand für das gestohlene Tablet. „Bitte geben Sie es umgehend an der dm-Kasse ab“, endete der Text. „Die Kamera-Aufnahmen sind bereits bei der Polizei.“
Barbara Bollwahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen