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berliner szenenRadunskis Traum

Bewusstsein ohne Sein

Einer, den ich, das muss ich zugeben, sehr gut kenne, ist gar kein guter Freund oder Feind von mir. Nein, er ist einfach nur einer, der immer gleich funktioniert. Wo er geht und steht, stets haben Tocotronic dazu das richtige Lied geschrieben, den richtigen Satz gesagt oder richtig gut ausgesehen. Er kennt zwar keinen der Tocotronic-Musiker persönlich, dennoch sind Dirk, Jan und Arne seine besten Freunde. Ähnlich geht es ihm mit den Helden der Romane von Nick Hornby. Sein bisschen Kapitalismuskritik hat er sich beim Hören von Surrogat-Platten zusammengetüftelt, sein Kunstverständnis ist das von Sonic Youth, und Lacoste ist ihm noch immer eine Modemarke, an der „die Yuppies“ zu erkennen sind. Und natürlich sind Blöde immer blöd, wohingegen er und seine Bekannten, also „wir“, immer „auf der richtigen Seite“ sind. Er fühlt sich bisschen mies, wenn er mal gut verdient. Diese Sorte Mensch ist leicht zu erkennen – wenn man ihre Plattensammlung kennt. In Delmenhorst, wo mein Bekannter geboren wurde, war er so, wie er blieb, als er nach Berlin zog. Jetzt lebt er in London. Manchmal schreibt er mir – denn ich bin meist ganz nett zu ihm – lange E-Mails, in denen er erzählt, wie es ihm in London geht. Und, of course, egal wo er steht und geht, ihm fallen Tocotronic-Songs ein, er verachtet Lacoste-Träger, und wenn er durchs Londoner Bankenviertel flaniert, summt er von Surrogat „Money Maxx“ vor sich hin. Als Peter Radunski noch Berliner Kultursenator war, verglich er seine Stadt gern mit Paris, London oder New York. In meinem Bekannten lebt dieser Traum weiter: ob London oder Berlin – für ihn ist das eins. Denn er ist in Delmenhorst, Berlin oder London immer derselbe. Das Sein kann diesem Bewusstsein nichts anhaben. JÖRG SUNDERMEIER

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