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berliner synästhesieSpätestens in der U-Bahn fangen sie alle damit an

Riechen

Niemand weiß, woher Mutter die seltsame Angewohnheit geerbt hat. Aber es wirkt immer noch befremdlich. Gerade in Hi-Fi-Geschäften. Da steht sie dann am Regal, schaut sich nach einem CD-Player um, und wenn sie endlich ein Gerät gefunden hat, das ihr vom Design oder auch preislich zusagt, geht sie ganz nah mit der Nase an das Gehäuse und beschnuppert das schwarze Plastik. Nur so, zur Sicherheit, sagt sie, man weiß ja nie, nachher ist die Anlage womöglich kaputt, da muss man die Sache doch vorher prüfen.

Vielleicht hat sie Recht. Vielleicht wird beim Kauf zu wenig an Stereoanlagen, an Waschmaschinen oder an fabrikneuen Fernsehern gerochen. Aber der Schaden stinkt, spätestens wenn es zum Kurzschluss kommt. Verbrannter Strom, der eine säuerliche Spur auf Transistoren und Lötplatinen hinterlassen hat. Der Geruch hängt noch Tage im Zimmer, da hilft kein Lüften und kein Parfüm. Das schon gar nicht. Das kennt man ja von ungewaschener Wäsche, auf die manche Leute etwas Eau de Cologne sprühen, weil ihnen die Waschmaschine abgeschmort ist oder das Waschcenter wieder einmal zu weit war. Aber in der U-Bahn dringt es schon im ersten Augenblick durch, wenn jemand schwitzt und sich plötzlich unter einer Schicht sandelhölzernem „YSL“ ein herber Dunst aus Rauch, der in seinen Haaren, in seinem Hemd und auf seiner Haut noch von der vergangenen Nacht in jeder Pore hängt, ausbreitet. Oder Schlimmeres, Fischiges, spitz in die Nase steigender, zugleich aber auch süßlicher Fitnessschweiß, der sich mit dem Deodorant vermengt hat, oder ein Rülpser Knoblauchmief.

Man hat ja auch kein Mittel dagegen. Länger die Luft anhalten funktioniert nur bei Tiefseetauchern, während dem ungeübten Luftanhalter schon nach wenigen Momenten der Erstickungstod droht. Das setzt Panik frei und bei dem darauf folgenden, unkontrollierten Japsen dringt nur noch mehr Gestank durch die Nase ein. Kann man nix machen, passiert einfach so und der Kotzreiz lässt auch nicht lange auf sich warten. Deshalb findet man sich mit dem stinkenden Gegenüber ab und denkt an einen Satz, der aus dem Musikunterricht in Erinnerung geblieben ist: „Erfroren sind schon viele, erstunken ist noch keiner, wir wollen nicht die Ersten sein“, sagte Herr Naleczinsky immer, wenn es roch im Winter und er die Fenster bei minus zehn Grad aufriss. Aber der stammte ja auch aus Oberschlesien und wurde später strafversetzt, weil er einem Jungen in der Pause zu nah gekommen war.

Dabei ist das Riechen doch nur eine Randerscheinung, möchte man meinen. Der Atmungsraum ist schließlich viel größer und die Geruchssinneszellen ohnehin verkümmert, sie machen gerade mal 2,5 cm[2]der Nasenschleimhaut aus. Doch das Gehirn nimmt die Sachlage völlig anders wahr. Dort kommt das Schlamassel aus ranzigem Körperfett und käsigen Schweißfüßen, aus Pupu und Pipi durch Riechhärchen und ebensolche Stäbchen mit jedem Atemzug als Begleitinformation an die Rezeptoren weitergeleitet an und wird in mehrere tausend Düfte unterschieden, von denen der Mensch in der Regel auf gut 90 Prozent gerne verzichten würde.

Schlimmer trifft es jedoch so empfindliche Wesen wie Charles Baudelaire, der zeitlebens unter Geruchshalluzinationen litt. Der im Theater saß und plötzlich von beißendem Kaffeegeruch weggerissen wurde aus irgendeinem Zola-Drama, dass er doch hätte rezensieren sollen, wäre da nicht diese leckere Mischung aus Costa Rica und Café au lait gewesen. Oder nach Tod, nach Beerdigung, die man riechen kann, wenn man einen Nasenstüber bekommt. Sagte Vater früher immer. Dann ist er selbst gestorben und es roch nach nichts das eine Mal.

HARALD FRICKE

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