piwik no script img

Archiv-Artikel

berliner platte Deutsche Arschwackelmusik gelangt zu Weltruhm

Tiefschwarz: „Eat Books“ (Four Music/Universal), 2005

Hin und wieder erlangt Deutschland dann doch noch Weltniveau. Über Tiefschwarz ist die internationale Tanzbodenfachpresse ganz aus dem Häuschen: Das DJ Magazine glaubte, in den musikalischen Ergüssen des Brüderpaars Alexander und Sebastian Schwarz „german genius“ entdeckt zu haben, und der NME fand, „Mama Schwarz sollte stolz sein“. Was das Magazin Q hörte, wenn die beiden Brüder mal wieder in den berühmtesten Clubs der Welt auflegten oder einer ihrer allgemein angesagten Remixe ablieferten, war „alien and fresh“, und Time Out, die Londoner zitty, befand beruhigt: „It’s all fine“. Noch immer wird im Ausland freudig notiert, dass Tiefschwarz aus Stuttgart stammen und begeistert Parallelen diagnostiziert zwischen den Karossen von Mercedes-Benz und den eleganten Tracks der Gebrüder. Seit fast drei Jahren aber leben die beiden nun in Berlin und betreiben auch ihr Studio hier. „Eat Books“ ist ihr zweites Studio-Album neben bisher bereits veröffentlichten Remix-Compilations und DJ-Sets. Die Plattenfirma nennt es eine „offene Auseinandersetzung mit Stilrichtungen der ganzen Welt“, andere nennen es womöglich einen Bauchladen. Dass Ali und Basti Schwarz in den Neunzigerjahren ihre Reputation als Deephouse-DJs bauten, das hört man noch in tief schürfend gemeinten House-Tracks, die nun aber konterkariert werden mit kühlen Electroklängen. Da folgt auf eine sturztrocken technoide Nummer ein seltsam abgehangen wirkender Soulversuch und darauf wiederum ein pumpender Discotrack mit gewöhnungsbedürftigem deutschem Gesang. Tech-House nannte man den Bastard, den Tiefschwarz dereinst mithalfen zu erschaffen, der allerdings mitunter an der Unvereinbarkeit seiner Grundelemente zu scheitern drohte. Nun konkurrieren immer noch kunstvoll verschraubte Rhythmen mit Mallorca-Beats, die schön stumpf auf die Eins ballern, aber weitestgehend zielsicher wird die unverzichtbare Balance gefunden zwischen roboterhafter Monotonie und gefühligen Sangeseinlagen. So souverän dieses Miteinander in diesem Fall auch organisiert ist, schlussendlich bleibt es, wie es Ali Schwarz im de:bug-Interview formulierte, „immer Arschwackelmusik“. Pop allerdings, wie gerne mal diagnostiziert, sind Tiefschwarz mit „Eat Books“ noch lange nicht. Denn auch wenn sie zusammen mit ihrem Produzenten Jochen Schmalbach, der schon für Faithless, Sly & Robbie und die Fantastischen Vier gearbeitet hat, neben ganz auf Rhythmusarbeit und Atmosphäre setzenden Tracks einige echte Songs geschrieben und aufgenommen haben, auch wenn stetig wechselnde Sänger, darunter Matt Safer von The Rapture, fast schon ein Radiogefühl vermitteln, bleibt der Gesamteindruck doch dominiert von den stetig stampfenden Techno-Beats. Das Künstler-Album „Eat Books“ wirkt zwar auch nicht wie ein Club-Mix, der die Tänzer in raffiniert konstruierten Übergängen durch ein Stimmungs-Auf-und-Ab führt, aber doch wie eine Reise über die Dancefloors der Metropolen der Welt, wo man jeweils mitunter ziemlich unvermittelt in eine bereits laufende Party platzt.

THOMAS WINKLER