berliner ökonomie : Struktur der Angeschlossenheit
Was die Deutsche Bahn mit den „Macy-Konferenzen“ verbindet, und wie man die Repräsentation ins Leere stoßen lässt
Der Potsdamer Platz galt 1997 neben dem Hackeschen Markt und der mittleren Friedrichstraße als „1a-Immobilienstandort“: 20 Euro verlangten die Vermieter pro Quadratmeter, sie gingen dann bis 10 runter. Jetzt, wo Sony und Deutsche Bahn AG sich am Platz verabschieden, bekommt man Wohnungen für 7 Euro – und eine 200-Quadratmeter-Dachterrasse kostenlos dazu. Die DB, die sich mit vielen Projekten in Berlin verspekuliert hat, will wenigstens ihre gigantische Planung am Lehrter Bahnhof retten, indem sie dort alles Mögliche konzentriert – von der Zentrale bis zu den Zügen, damit die neuen „Shops“ genug Laufkundschaft haben. Ähnlich spekulierte auch die rot-grüne Regierung in der Hauptstadt. Nicht die ökonomische Depression und die Dekomposition der Klassen, sondern die Krise der Repräsentation hat sie dabei voll erwischt.
Jean Baudrillard hat diese quasi vorab halluziniert: „Es gibt kein Medium im buchstäblichen Sinne des Wortes mehr“, meinte er bereits 1982, „von nun an lässt es sich nicht mehr greifen, es hat sich im Realen ausgedehnt und gebrochen …“ Ebenso sei es „mit dem Zeitalter der Repräsentation, dem Raum der Zeichen, ihrer Konflikte, ihres Schweigens“ vorbei: „Es bleibt nur die ‚black box‘ des Codes, das Molekül, von dem die Signale ausgehen, die uns mit Fragen/Antworten durchstrahlen und durchqueren wie Signalstrahlen, die uns mit Hilfe des in unsere eigenen Zellen eingeschriebenen Programms ununterbrochen testen.“
Gemeint ist damit das aus der US-Lenkwaffensystemforschung des Zweiten Weltkriegs entstandene kybernetische und informationswissenschaftliche Denken, das angewandt zu Gesetzen komplexer Systeme führte, die gleichermaßen auf Lebewesen, Computer und Volkswirtschaften zutreffen. Das erste große Einsatzfeld der Produkte dieses Denkens, das sich zwischen 1946 und 1953 auf einigen „Macy-Konferenzen“ herausmendelte, an denen u. a. Norbert Wiener, John von Neumann, Heinz von Foerster, Claude Shannon und Gregory Bateson teilnahmen, war der Vietnamkrieg. Dieser wurde dann auch als der erste „Medienkrieg“ bezeichnet.
Günter Anders prägte dafür den Begriff des „Telezids“, um die neue vorherrschende Gewalt zu charakterisieren, mit der die Differenz von Modell und Realität vernichtet wird. „Es gibt keine Realität [mehr]!“, so Heinz von Foerster abschließend – das heißt kurz vor seinem Tod 2002. Stattdessen bald nur noch integrierte Mensch-Maschinen-Schaltkreise, also eine immer weiter gehende „Struktur der Angeschlossenheit“, wie Baudrillard unser aller Schicksal nennt, das wir uns bloß noch als verfilmtes oder sonst wie medialisiertes real vorstellen können. Der ab 1967 strapazierte Begriff des „Authentischen“ ist heute dekonstruiert und abgetan, nicht zuletzt deswegen, weil es „die Authentischen“ selbst damals mit Macht in die Medien zog/sog: „Nach einer Straßenschlacht auf dem Kettenhofweg liefen wir sofort nach Hause, um uns im Fernsehen anzukucken, wie wir gewesen waren“, berichtet Herbert Nagel. Und Klaus Theweleit erinnert daran, wie damals gedacht wurde: „Wenn wir nicht Gewalt ausüben, nimmt uns niemand wahr.“ Für die heutigen Theoretiker von „Gewalt und Medien“, Schmid und De Graaf, ist der Terrorismus denn auch „in Wirklichkeit ein Akt der Kommunikation“. „Control and Communication“ – mit diesem Buch des Kybernetikers Norbert Wiener fing es 1948 an, wobei beides schon damals für Wiener identisch war.
Heute darf man nicht einmal mehr miteinander reden –„man muss kommunizieren“, so Baudrillard. Wie konnte es zu dieser Riesensauerei kommen? Eine ganze Reihe von Wissenschaftshistorikern beschäftigt sich allein in Berlin mit dieser Frage. So veranstalteten die Philosophen der FU und die Kulturwissenschaftler der HU gerade einen Workshop über die „Macy-Konferenzen“. Zuvor hatte Claus Pias die Protokolle darüber auf Deutsch im Berliner Verlag „diaphanes“ veröffentlicht und Lutz Dammbeck in seinem Film „Das Netz“ einige der Teilnehmer von damals interviewt. Die Diskussion darüber geht weiter unter: www.expolar.de/kybernetik. Etwa gleichzeitig befassten sich die Slawisten von FU und HU in einem Workshop mit den Forschungsansätzen in der Sowjetunion, die im Gegensatz zu der genetischen Determiniertheit von der Veränderbarkeit aller Lebensäußerungen ausging: „Der unbewegte Beweger“ (Delbrück) gegen „den Revolutionär als Beweger“ (Tschernyschewski).
Beide „Weltbilder“ standen sich spätestens ab 1948 im Kalten Krieg gegenüber– im geteilten Berlin kamen sie sich quasi auf Schussweite nahe. Nachdem „die Mauer in den Köpfen“ so gut wie weganalysiert ist, geht es hier nun um eine Genealogie dieses einst hüben wie drüben Eingemachten. Das hat auch etwas Spekulatives an sich – rückblickend allerdings, um „russischen Schwung und amerikanische Sachlichkeit“ (Stalin) gleichermaßen auf sich wirken zu lassen – ein allerletztes Mal.
HELMUT HÖGE