berliner ökonomie : Die arme Geliebte als Opfer der eigenen Kreativität
Die Modemesse Bread & Butter hat sich von Berlin verabschiedet – ist nun auch noch der Ruf als kreative Hauptstadt in Gefahr?
Es war kein wirkliches Ende mit Schrecken. Vergangene Woche haben die Betreiber der Modemesse Bread & Butter verkündet, dass sie den Standort Berlin zugunsten Barcelonas aufgeben würden. Mit größtmöglichem Tamtam waren die Kölner Messemacher 2004 in die Stadt gekommen. Im Gepäck hatten sie das Versprechen, Berlin zur Modehauptstadt Europas zu machen. Sie fuhren im Berlin-gebrandeten Jaguar durch die Gegend, brachten Technostücke mit dem Kennedy-Sample „Ich bin ein Berliner“ heraus und ließen auch sonst kaum eine Gelegenheit aus, so dass man sich ob des Marketings „fremdschämte“, wie es ein Berliner Werber ausdrückte.
Sollte es stimmen, dass Berlin arm, aber sexy ist, dann war der Abschied der Bread & Butter so etwas wie der Schlussstrich unter eine zu Beginn stürmische Affäre, die mit der Zeit immer zermürbender und verlogener wurde. Vor den Augen des gesamten Freundeskreises wurde sich eine spanische Nebenbuhlerin zugelegt, die sich weniger kapriziös gab und finanziell als bessere Partie entpuppte. Anders gesagt: Es war schon vorbei, bevor es überhaupt richtig angefangen hatte. Was bleibt, ist das Gefühl, ausgenutzt worden zu sein, auch der ungewisse Blick in die Zukunft. Therapeuten würden versuchen, ihrem Klienten dies als Chance zu verkaufen. Zunächst müssen Scherben zusammengekehrt und wichtige Fragen beantwortet werden: Fällt Berlin immer auf die gleichen Typen rein? Und ist die Stadt ein Opfer ihrer eigenen Attraktivität?
Berlin, so heißt es, hat das gewisse Etwas, wovon andere Großstädte träumen: Platz, niedrige Mieten, junge Leute aus aller Welt. Dazu die vermutlich höchste Dichte an Menschen, die sich irgendwie kreativ arbeitend verwirklichen wollen und dennoch genug Zeit haben, um werbewirksam in Straßencafés zu sitzen, um noch mehr Gleichgesinnte aus aller Welt anzulocken. Von außen sieht es oft besser aus als von innen. Da aber echte und vermeintliche Kreativität, Originalität und Nonkonformismus stark gefragte Güter sind, schauen von Zeit zu Zeit die Herren mit den ganz großen Visionen vorbei, die im Überfluss das besitzen, woran es Berlin mangelt, und die der Stadt versprechen, ihre offensichtlichen Stärken im Kreativbereich genau zu dem zu machen: Geld.
Oft funktioniert das, wie etwa in kleinerem Rahmen im Nachtleben- und Gastronomiebereich und in größerem Rahmen im Kunstbetrieb. Hier befeuert das libertäre Selbstverwirklichungsversprechen den Markt und füllt viele Taschen. Ein französischer Maler erzählte, dass Pariser Galerien, bei denen er sich jahrelang erfolglos beworben hatte, ihn plötzlich aufgeregt telefonisch kontaktieren, seit er seine Mappen mit dem Absender Berlin zu ihnen schickt.
Im Falle der Modehauptstadt Berlin ist der Traum kurzfristig geplatzt – trotz der sexy Adresse. Vielleicht, und hier hätten wir ein Muster, war es sowieso von Anfang an eine Spur zu hysterisch. Es sollte sofort wieder die ganz große Weltwichtigkeitsgeschichte werden – Fashion Week inklusive.
Jetzt bleibt einem immerhin die qualitativ interessantere Messe Premium, der die zugegebenermaßen nicht einfache, aber sehr, sehr spannende Rolle zufällt, das geschäftliche Potenzial der Stadt in Sachen Mode und Lifestyle weiter auszubauen. Dazu gesellen sich Kleinstsatelliten wie der Showroom Ideal, die Initiativen zahlreicher Läden (etwa das apartment oder Andreas Murkudis) sowie eine Hand voll Berliner Designer von cneeon bis Bless. Auch wenn die Karawane mit den vermeintlichen Goldeseln erst mal gen Süden zieht, in Mitte eröffnet ein Laden nach dem nächsten, ob Flagshipstore oder kuratierter Designerladen.
Und es bleibt, Balsam für die eigenen Wunden, die moralische Überlegenheit der in Schmach Sitzengelassenen. Denn diejenigen, die das Geld bringen, sorgen meistens auch dafür, dass das, wofür sie gekommen sind, um es auszugeben, oft ins Gegenteil oder ad absurdum geführt wird. Oder um im Beziehungssprech zu bleiben: Das, was sie an dir lieben, wird am Ende zerstört. Berlin braucht jetzt einen Wohlfühltag, sollte die Maske auflegen, zur Maniküre gehen, mit echten Freunden um die Häuser ziehen und sich danach überlegen, ob es nicht doch manchmal etwas übertrieben mit dem Arsch wackelt und sich danach weinend beschwert, nicht um der inneren Werte willen geliebt zu werden.
HEIKE BLÜMNER