berlin viral: After-lockdown-swimming
Vor ein paar Tagen war es so weit: Irgendein willkürlich festgelegter Inzidenzwert war erreicht, und nur drei Tage und elf Stunden später – oder so in der Art – durften Dinge öffnen, die früher einmal selbstverständlich gewesen waren. Vor Corona. Vor Lockdown Nummer fünfunddreißig. Heftig bejubelt wurde in der Presse die „Außengastronomie“. Kollegen posteten Bilder, wie sie bei regenverhangenem Himmel mit einem Bier an irgendeinem Resopaltisch saßen. Mir ist diese Außengastronomie relativ schnuppe. Ich kann mich weiterhin mit einem Getränk auf die Parkbank setzen, und kochen kann ich selber auch ganz gut. Aber Menschen sind ja bekanntlich verschieden.
Nicht schnuppe hingegen ist mir, dass ich seit September letzten Jahres nicht mehr schwimmen konnte. Freibäder: zu. Hallenbäder: gar nicht erst offen. Brandenburger Seen: deutlich zu kalt. Ein Elend. Aber jetzt, mit Stichtag 21. Mai, haben die Berliner Freibäder wieder auf. Tickets online buchbar. Negativer Coronatest nötig. Was ich ja persönlich ziemlich albern finde, weil die Besucher*innenzahl sowieso schon extrem begrenzt ist. Und Umkleiden und Duschen gar nicht geöffnet. Aber um ehrlich zu sein: Ich hätte mir auch noch die Nase piercen lassen, wenn sie das zur Bedingung gemacht hätten.
Morgens komme ich für gewöhnlich sehr schwer aus dem Bett. Und selbst nach dem ersten Kaffee brauche ich noch mindestens eine Stunde, bis ich überhaupt ganze Sätze sprechen kann. An diesem Freitag war das anders. Schon am Abend vorher war ich ähnlich hibbelig wie Fünfjährige an Heiligabend. Mitten in der Nacht wache ich auf. Ist es schon hell? Leider ist es gerade mal mal viertel nach zwei.
Zehn Minuten vorm Weckerklingeln um zwanzig nach sechs bin ich dann hellwach. Schon am Vorabend hatte ich alles gepackt inklusive Lunchbox. Schnell ein paar Haferflocken kochen – warme Grundlage und so. Dann rauf aufs Rad. Und hin zum Bad. Ich bin jetzt maximal aufgeregt, als ich um halb acht an der Einlasskontrolle mein Ticket und meine Testbescheinigung vorzeige.
Und dann bin ich drin. Die Sonne scheint wider Erwarten freundlich auf mich herab. Das Bad ist gut besucht. Nach Coronamaßstäben natürlich: auf jeder Bahn sind etwa vier Menschen.
Den Badeanzug hab ich schon drunter, jetzt schnell unter die eisig kalte Dusche. Und dann ab ins Wasser! Ob ich das überhaupt noch kann? Das Wasser ist überraschend warm. Jedenfalls wärmer als die Dusche. Ich schwimme siebenhundert Meter. Das ist nicht mal die Hälfte von dem, was ich im September so an Strecke gemacht habe. Aber so ganz unanstrengend ist es dann doch nicht nach einem Dreivierteljahr Schwimmpause. Und zur Arbeit muss ich jetzt auch.
Auf dem Weg zurück zu meinen Sachen komme ich an zwei Mitschwimmern vorbei, die ähnlich enthusiastisch klingen, wie ich mich fühle. „Ich war der Erste im Becken“, sagt der Endfünfziger gerade zu seiner Gesprächspartnerin. „Hab ich mir fast gedacht“, grinst sie. „Dabei war ich gar nicht der Erste am Drehkreuz. Aber dann war ich wohl schneller beim Umziehen.“ Ich verstehe den Mann und beneide ihn sogar ein bisschen. Aber um halb sieben zu Hause losfahren, bloß um die Allererste im Wasser zu sein – das wäre dann doch etwas übertrieben gewesen. Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen