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Archiv-Artikel

berlin buch boom Ein Insider-Roman aus der Berliner Ballettszene: „Almas Tanz“ von Jacalyn Carley

Dem echten Leben abgetanzt

Auf Seite 53 war ich erst mal beleidigt. Da schildert Jacalyn Carley, wie ihre Hauptfigur Jim, Choreograf aus den USA und Tanzlehrer in Berlin, seufzend seine Schüler anguckt: „Ein Anblick wie auf dem Pastaregal eines italienischen Spezialitätengeschäfts: magere Linguine in Radlertrikots, Vollkornspiralen in Jogginganzügen, fleischgefüllte Ravioli in Nylon-Training-Outfits, leere Muscheln in ausrangierten Pyjamahosen und T-Shirts.“

Und ich, war ich in Carleys Augen wohl eine deutsche Eiernudel, als ich vor vielen Jahren zu ihr in die Tanzfabrik ging? Sie war als Lehrerin gut, zu Recht beliebt und wichtige Choreografin dazu. Und jetzt das!

Aber halt! Schon ist es passiert, der klassische Irrtum der Verwechslung von Kunst und Leben. Natürlich hat Jacalyn Carley einen Roman geschrieben – und es ist sicher völlig verkehrt, sie selbst und ihre Erfahrungen mit denen der beiden Romanfiguren Jim und Alma gleichzusetzen. Jim schlägt sich in der freien Szene rum und kämpft mit der Krise des Vierzigjährigen, dessen bisherige Methoden der Improvisation ihn selbst zu langweilen beginnen. Alma – mit einer Karriere als Ballerina hinter sich – hofft auf einen Neubeginn als Choreografin an der Komischen Oper.

Das kann man als pure Fiktion lesen. Unterhaltsam aber wird es erst durch den spitzen und bösen Insider-Klatsch.

Dies Buch würde keinen Spaß machen, dürfte man es nicht mit dem Leben verwechseln. Wie Jim zum Beispiel an den Ambitionen seiner Tänzer verzweifelt. Wie ihm selbst zu Floskeln zerbröselt, wofür er einmal alles hergab. Wie seine Musiker das Grausen kriegen. Und Alma, die gegen ein Phantom angehen muss: ihre Vergangenheit in der DDR, die sie lange verleugnet hat. Das ist der schmerzhafteste Teil des Buches und auch der dramatischste. Dass er sogar tragisch endet, traut man der Geschichte lange nicht zu.

Jacalyn Carley hat in diesem Buch viel versucht. Die Kluft zwischen zeitgenössischem Tanz und Ballett als eine zu erzählen, die ihre Protagonisten bis in ihr Empfinden, ihre Erinnerungen und die Wurzeln ihres Seins hinein prägt.

Dass dies dabei zugleich eine Ost-West-Geschichte werden sollte, unterstreicht die ideologische Besetzung der Kunstformen. Dazu ironische Distanz zu halten, ist die Autorin zwar bemüht, aber es gelingt ihr nicht ganz.

„Almas Tanz“ ist auch die Geschichte eines Mannes und einer Frau, die mit ihrer Liebesbedürftigkeit schlecht zurechtkommen im eigenen Körper.

In dieser Hinsicht ist das Buch die Härte: Denn einerseits lässt es keinen Fitzel der Illusion mehr zu, dass die Verkörperung ästhetischer Ideale etwas mit körperlichen Glückserfahrung zu tun hätte. Was sich dem zum Trotz aber dennoch zwischen Jim und Alma ereignet, klingt so gewollt und angestrengt nach lockeren Sexepisoden, dass es schon wehtut.

Dabei gingen Sprache und Sex in den Tanzstücken von Jacalyn Carley wunderbare Bündnisse ein. Gerade aus dem Rhythmus der Sprache, aus Texten von Gertrude Stein und Ernst Jandl, wusste sie einen Funken zu schlagen, der die Ebenen von Wünschen und Träumen, von Hindernissen und Konventionen oft auf komische Weise durchschlug. Ihr spezieller Witz wurde noch im abstraktesten Material sichtbar.

Doch jetzt, wo sie sich damit über sehr konkrete Dinge und Erlebnisse hermachen will, die schon einer besonderen Beobachtung entstammen, stimmen die Maße und Verhältnisse nicht mehr. Vieles ist einfach zu dick aufgetragen.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Jacalyn Carley: „Almas Tanz“. Eichborn Verlag, 22,90 €