■ beiseite: Mißverständnis Voraussetzung
Skandal? Peter Zadek, so die Berliner Zeitung, hält „so ziemlich jeden erstrangigen Avantgarderegisseur aus dem Osten für den letzten Dreck“. Und das denkt er sich nicht nur so bei sich, sondern er „posaunt es in die Welt hinaus“. Genauer gesagt in den Spiegel, noch genauer: letzte Woche.
Letzte Woche! Sollte uns eine solche Bemerkung Zadeks etwa entgangen sein, die Kollege Peter Laudenbach gestern in der Berliner Zeitung geißelte? Die er zum Anlaß nahm, um zu erklären, weswegen das Berliner Ensemble „am Ende“ sei: weil Zadek, der „saturierte“ Vertreter einer westdeutschen „Toskana-Fraktion“, ostdeutsches Theater am Hause verhindere. Und die Stätte, die er heruntergewirtschaftet hat, jetzt klammheimlich zu verlassen plane.
Also pflichtbewußt noch einmal nachgelesen. Und nichts gefunden. Es handelt sich um einen persönlich gehaltenen Artikel Peter Zadeks, in dem er sich daran erinnert, daß er Einar Schleefs Inszenierung von „Wessis in Weimar“ vor zwei Jahren am BE wütend verlassen habe, „Faschismus-Scheiße“ vor sich hinknurrend. Und jetzt sei er als jüdischer Theatermacher besorgt, weil Frank Castorf, Botho Strauß und auch Intendantenkollege Heiner Müller mit „fröhlicher Verantwortungslosigkeit“ einen „neudeutschen Nationalismus“ einläuten würden, rechtsradikaler Gewalt so ein Gehäuse bietend.
Zadek sorgt sich. Das ist sein gutes Recht. Und er wünscht sich weniger Kraftmeierei. Ganz abgesehen davon, ob man seine Einschätzung von Schleefs Arbeit teilt oder nicht — daß er Schleef oder Castorf oder Müller für „den letzten Dreck“ (Berliner Zeitung) hält, sagt er nicht. Und ganz abgesehen davon, ob man Laudenbachs Einschätzung der gegenwärtigen und zukünftigen Situation am Berliner Ensemble teilen möchte oder nicht — sie diskreditiert sich durch ihren infamen Einstieg sofort. Aber es geht noch weiter.
Karin Graf, die reaktionsfreudige Pressereferentin des Berliner Ensembles, geht gegen den „gehässigen Artikel“ vor. Sie zitiert per „Pressemitteilung“ Irene Dische mit den Worten, „daß jemand, der durch seine Geschichte sensibilisiert ist, die Atmosphäre, in der die Diskussion geführt wird, als antisemitisch empfinden kann“.
Die Diskussion ist die Lechts- Rinks-Debatte, und indem Frau Graf auf weitere aktuelle Bedenken jüdischer Intellektueller verweist, die „Herr Laudenbach und seine Auftraggeber“ doch wohl kaum alle für Vertreter der „saturierten Bundesrepublik“ halten könne, wirft sie der Berliner Zeitung zwischenzeilig mangelnde Sensibilität in jüdisch-deutschen Fragen vor.
Schwere Munition, die ihre Wirkung nicht verfehlen wird, um das Ganze immer weiter an einem möglichen Ziel vorbeischießen zu lassen. Denn wer spricht hier eigentlich worüber? Und warum? Laudenbach erklärt, er sehe in Schleefs Theater die „gewalttätige Realität reflektiert“. Warum attackiert er einen, der diese Meinung nicht teilt, statt in seinem viertelseitigen Artikel darzulegen, wie er zu dieser Meinung gekommen ist, warum er vielleicht generell Zadeks Bedenken nicht teilt? Aber wen interessieren schon Meinungen, Fragen gar? Statt dessen geht's immer gleich aufs Ganze: Gesinnung muß gewittert werden, damit sich ein Artikel lohnt. Wohl dem, der den Kopf frei hat für die Mißdeutbarkeiten der anderen.Petra Kohse
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