behindertenpolitik : Applaus ist nicht angebracht
Ein Kaufhaus darf sich behindertenfreundlich nennen. Mit amtlichem Siegel der Sozialsenatorin. Die Initative „Berlin barrierefrei“ soll gute Beispiele hervorheben und Nachahmer anlocken. Das scheint löblich. Vorerst aber wirft es nur ein Licht auf die alltägliche Diskriminierung.
KOMMENTAR VON GEREON ASMUTH
350.000 Schwerbehinderte gibt es in Berlin. Behandelt werden sie wie eine vergessene Randgruppe. Wer jemals mit einem Rollstuhlfahrer die Stadt durchquert hat, weiß, dass selbst gut gemeinte Ansätze häufig im Detail scheitern. Behindertenklos in Hotels und Gaststätten entpuppen sich als zugemüllte Abstellkammern. Automatiktüren in Einkaufszentren sind kaputt. Und beim Umbau des Olympiastadions wurde man nicht einmal den Minimalanforderungen der Betroffenen gerecht.
Selbst die Verwaltung der Sozialsenatorin zeigt sich schlecht informiert. Gerade erst hat sie den Behindertenfahrdienst Telebus verteuert – mit der Begründung, die Betroffenen sollten öfter BVG und S-Bahn nutzen, denn die seien angeblich behindertengerecht. Dabei hat immer noch nur ein Drittel der U-Bahnhöfe einen Lift. Muss ein Rollstuhlfahrer auch nur einmal umsteigen, kann er gerade bei knapp 4 Prozent aller Strecken sein Ziel erreichen. Dass der VBB ausländische Behinderte auch noch doppelt diskriminiert, ist da nur das Tüpfelchen auf dem i.
In einer solchen Situation nutzen lobende Streicheleinheiten für die raren Vorbildlichen wenig. Gefragt sind drängende Vorgaben, die ohne Ausnahme umzusetzen sind. Wenn sich aber selbst die politisch Verantwortlichen als ignorant entpuppen, ist das nur schwer durchzusetzen.
Applaus ist daher leider völlig unangebracht. Ein Kaufhaus in Berlin darf sich behindertenfreundlich nennen. Ein einziges.