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Archiv-Artikel

barbara dribbusch über Gerüchte Das gute Leben der Pre-Senioren

Auf welche Reklame spricht der Mensch über 40 an? Das frage ich mich schon lange. Nun erforscht es die Werbung

Es ist aufregend zu erfahren, dass man zu einer interessanten Zielgruppe gehört. Mein New Yorker Freund Simon hatte mich drauf gebracht. Simon sollte für einen Medienkonzern ein Internet-Portal für ältere Konsumenten entwickeln. Als „älterer Mensch“ geht man durch, so erfuhr ich, wenn man die 40 überschritten hat. In der Werbung gilt man dann nämlich schon als „pre-senior“.

Das Problem mit den „Pre-Senioren“ ist: Manche von ihnen verfügen mitunter durchaus über gutes Einkommen, sind aber längst werberesistent geworden. 40 Jahre Konsumgesellschaft hinterlassen nun mal ihre Spuren, da prallen die Werbespots einfach so ab und der gewünschte Kaufakt erfolgt nicht.

Die Pre-Seniorin weiß, dass diese oder jene Creme nicht verjüngt, dass Schuhe in Entenschnabelform hässlich machen, dass auch ein neues, rotes Etuikleid nicht dazu führen wird, dass S. öfter anruft. Kurz: Die Pre-Seniorin ist ernüchtert. Und deshalb wird sie ein Objekt der Forschung, eine Herausforderung für Experten aus der Branche Werbe & Psycho, also für Leute wie Simon.

„Der ältere Mensch“, erklärt mir Simon, „will vor allem eines nicht: als älterer Mensch angesprochen werden“. Wir schlendern über den Trödelmarkt an der Straße zum 17. Juni. Bei seinen Berlinbesuchen plant Simon immer einen Gang über den Flohmarkt ein. An diesem Morgen hat er eine Obstschale im Art-Deco-Design erstanden, die er wohl den Rest des Tages mit sich herumschleppen wird.

„Man muss herausfinden, was älteren Menschen im Leben wichtig ist“, fährt Simon fort, „da musst du ansetzen. Dabei kannst du natürlich auch scheitern.“ Ich nicke. Simon hat in diesen Dingen Erfahrung. Irgendein Querdenker hatte nämlich zu Anfang vorgeschlagen, das neue Internet-Portal „Young at Heart“ zu taufen aufgrund des genialen Gedankens, dass der ältere Mensch immer möglichst jugendlich angesprochen werden wolle. Die Idee wurde rasch verworfen. Der ältere Mensch will Authentizität. Am Ende war man bei dem Begriff „The Good Life“ gelandet.

„Qualität, Verlässlichkeit, das zählt bei der Produktauswahl“, plaudert Simon weiter. Ich sage nichts. Kürzlich las ich in einer amerikanischen Frauenzeitschrift, man erkenne die reifere Lady daran, dass sie ein Paar Schuhe, wenn sie passen und ihren Füßen gut stehen, gleich zweimal kauft. Das zweite Paar erwirbt sie gewissermaßen auf Vorrat, weil sie der Mode nicht traut.

„Es ist natürlich ein Balanceakt“, räumt Simon ein, obwohl ich ihm noch gar nicht widersprochen habe, „die Leute wollen ein bisschen Geborgenheit, Sicherheit, aber auch ein bisschen Abenteuer, das ist es.“ Ich kenne diese Mischung von Frauenzeitschriften, die sich an die Frau in mittleren Jahren wenden. Die Texte ranken sich um „den Lieblingsplatz in der Wohnung“, wobei es sich auffällig oft um ein Sofa im Country Style handelt. Beliebt sind auch Porträts über „Frauen, die noch einmal ganz von vorne angefangen haben“ und beispielsweise mit einer 15 Jahre jüngeren Urlaubsbekanntschaft eine Tauchschule auf den Malediven eröffneten.

„Das Problem ist doch, dass die Leute Abenteuer, Liebe, Schönheit nicht kaufen können“, werfe ich ein, „und wenn man über 40 ist, hat man das geschnallt.“ Aber auch das stimmt eigentlich nicht. Die Werberesistenz des Menschen in mittleren Jahren kann nämlich auch in fanatischen Produktglauben umschlagen, wie bei meiner Jugendfreundin Theresa. Sie schmiert sich neuerdings nur noch La-Prairie-Creme auf ihre Oberhaut. 125 Euro kostet die handgerührte Fettemulsion einer Schweizer Firma, die nirgendwo Reklame macht. „Das ist es ja“, meint Theresa beschwörend am Telefon, „die Creme ist ein Geheimtipp, ich sag’s dir.“ Sie klang, als sei sie in eine Sekte eingetreten.

Das Verrückte dabei ist, dass Theresa nur wenig verdient. Sie erinnert mich an jenen afrikanischen Stamm, dessen Mitglieder sich angeblich auch noch in der Hungersnot die Haut mit tierischen Fetten einreiben, statt das Fett als Nahrung zu verwenden. Ihr Verhalten dient Anthropologen als Beweis dafür, dass Menschen wegen ihrer Eitelkeit mitunter sogar ihre Grundbedürfnisse vergessen.

„Konsumenten sind letztlich immer unberechenbar“, meint Simon, und ich glaube, heute hört er mir überhaupt nicht zu, „je älter sie werden, desto individueller wird ihr Verhalten, das ist das Problem.“ Dann verharrt er an einem Stand und liebäugelt mit einer Jugendstil-Lampe.

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