barbara dribbusch über Gerüchte : Das Kind, das aus der Kälte kam
Im Katalog der Samenbank stand, dass er Medizin studiert und Violine spielt. Na ja, Klarinette wäre besser
„Übrigens, eine Sache habe ich dir noch gar nicht berichtet“, sagte Britt, „ich hab dir doch schon mal von L… erzählt. Stell dir vor, die hat jetzt eine Tochter. Von einer Samenbank.“
An jenem Abend hatten wir unser wöchentliches Telefonat fast beendet und eine systemtheoretische Betrachtung über unser Kleinfamiliendasein wie üblich nicht ausgelassen. Da fiel Britt die Sache mit L. noch ein. „Das Kind, äh, das Sperma kommt von einer Samenbank in San Francisco. Eine von den wenigen Samenbanken, bei denen die Männer nicht anonym bleiben. Das macht die Sache natürlich teurer.“ Britt verfiel in einen professionellen Ton, so als kenne sie schon ein Dutzend Mütter, die Kinder von Samenbankvätern haben.
Ich wusste von Britt, dass L. Designerin ist und seit sieben Jahren mit einer Frau zusammenlebt. Die Frauen wünschten sich schon lange ein Kind.
„Der Spender hat natürlich keinerlei Verpflichtung“, erklärte Britt, „aber das Kind erfährt seinen Namen, wenn es 18 Jahre alt ist, und kann dann Kontakt zu ihm aufnehmen. Deswegen war die Samenspende auch teurer. 4.000 Dollar.“
Ich war mir sicher, dass Britt die Geschichte schon mindestens einem halben Dutzend Freundinnen weitererzählt hatte. Ungewöhnliche Empfängnismethoden sind ein heißes Thema unter Frauen – nicht nur wenn es um Samenbanken geht. Unsere Bekannte R. zum Beispiel war im Alter von 36 Jahren von ihrem Freund verlassen worden. Sie fand keinen neuen Lebensgefährten. Als sie sich mit 39 Jahren von einer Urlaubsliebe bewusst schwängern ließ, fanden wir das ganz in Ordnung. Es ist ein gutes Gefühl, gerade auf dem Gebiet an Macht zu gewinnen, auf dem man sich so oft ohnmächtig fühlt.
„Sie konnte sich den Spender sorgfältig aussuchen“, erzählte Britt weiter, „in seiner Biografie stand, dass er Medizin studiert, sich für den Buddhismus interessiert und Violine spielt. Das hat ihr gefallen.“ Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich auf die Sache mit der Violine auch geachtet hätte. Obwohl mir Klavier oder Klarinette noch lieber gewesen wären. Wie das wohl ist, wenn man bei einer Samenbank in so einem Katalog mit männlichen Biografien blättert? Na ja, es gibt doch auch Kataloge mit „heiratsfähigen asiatischen Frauen“. Obwohl – eigentlich fand ich das immer nicht so gut, das mit den Frauen aus dem Katalog.
„Der Transport war nicht ganz einfach“, erklärte Britt auf meine Nachfrage, „sie schleppte das Sperma in einer Box mit Trockeneis mit sich herum. Aber das Eis war natürlich nicht unbegrenzt haltbar.“ Das Sperma, so hörte ich, wurde zu einem Facharzt in Berlin gebracht, der es einlagerte und dann alle paar Wochen einen Befruchtungsversuch unternahm. Der dritte Anlauf klappte.
„Sie hat mir erzählt, wie sie gezittert hat mit ihrer Tiefkühlbox beim Umsteigen in Paris. Wenn da der Anschlussflug Verspätung gehabt hätte, wäre es angetaut und alles umsonst gewesen.“ Britt klang jetzt so, als habe sie gerade eine Weiterbildung zu den technischen Problemen der transatlantischen heterologen Insemination hinter sich.
Ich stellte mir vor, wie L.s Tochter die Geschichte in 25 Jahren ihrer Freundin erzählt, wenn sie über ihre Herkunft reden. „Stell dir vor, meine Mama stand in Orly mit dem Trockeneis und dem Sperma und hatte furchtbar Schiss, dass der Anschlussflug Verspätung hat und das Sperma auftauen könnte, aber zum Glück streikte gerade niemand auf den Flughäfen.“ Vielleicht kichern die Mädchen bei dieser Geschichte. Vielleicht aber auch nicht.
„Es war ihr sehr wichtig gewesen, dass der Spender nicht anonym war“, sagte Britt, „nichtanonyme Samenbanken sind der neue Trend in den USA. Man hat ja inzwischen festgestellt, dass es für die Kinder traumatisch sein kann, ihre Herkunft nicht zu kennen.“
Mir fiel die Geschichte meines Bekannten T. ein. Er war nach einer Mumpserkrankung in der Kindheit zeugungsunfähig geworden. Seine Freundin wünschte sich unbedingt ein Kind. Ein Bekannter erklärte sich bereit, sein Erbgut zur Verfügung zu stellen. So wurde T.s Freundin vor sieben Jahren auf abenteuerliche Weise, unter Zuhilfenahme von Pipetten, Spritzen und anderem medizinischen Gerät, in Heimarbeit geschwängert.
„Hast du keine Angst, es dem Kleinen zu sagen?“, habe ich T. mal gefragt. Die Frage hört er oft. T. hofft auf die Zukunft. „Die ganzen Abstammungsverhältnisse werden doch immer bunter“, meinte er neulich, „die Menschen entstehen doch schon in der Petrischale. So war es bei dem Kleinen ja nun nicht.“ Es gibt doch noch Unterschiede.
„Ich habe sie kürzlich besucht“, erzählte Britt von L., „du glaubst gar nicht, was die sich jetzt für eine Idylle gebastelt haben. Reihenhaus, Garten, Kleinfamilienglück. Also, ich hab natürlich nichts gesagt, aber weißt du was – ich fand es fast schon ein bisschen spießig.“
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