ausgehen und rumstehen : Warten auf Leonard Cohen, im Berghain nur Verrückte
Was für ein nobles Vorhaben! Zu Hause bleiben! Geld sparen für das Konzert von Leonard Cohen am 30. August in der Waldbühne. Ob’s gut wird, weiß man nicht – billig wird’s nicht. Also gepflegt den Wein der Nachbarn trinken, vielleicht eine DVD gucken, eventuell was Anspruchsvolles. „My Blueberry Nights“ vielleicht? „Äähhh … na gut. Dann geh ich alleine zum Rooney-Konzert im Frannz Club!“ Wie, was, wo? Du hast schon Karten? Um nichts mehr kümmern? Ich beeil mich!
Vor der Kulturbrauerei viele Menschen im Kate-Doherty-Adele-Winehouse-Look, keiner fühlt sich zu Euphorie verpflichtet, und das bleibt die nächsten beiden Stunden auch so. Vorne schrammelt’s, hinten … na egal, die sind betrunken. Wein und Blaubeerkuchennächte erscheinen nun wieder verheißungsvoll. Der Barkeeper – meine Rettung. Ein Bekannter kommentiert den seiner Meinung nach lustlosen Auftritt mit einer viel zu selten vorgetragenen Lebensweisheit: „Wer Sahne will, muss Kühe schütteln.“ Vorne schüttelt einer seine Mähne. Wir nicken nur.
Die Boheme verlässt den Saal frühzeitig. Beim Rauchen vor der Tür wird der Qualm nun durch besonders schmale Lippen gepustet, wobei man zum wiederholten Male die Nase spitz werden lässt und somit demonstriert, dass die Veranstaltung zu niveaulos ist, um überhaupt darüber zu reden. Jemanden, der zu spät kommt, belegen wir mit einem strafenden Blick gleich dem, den man einer fremden Mutter zuwirft, wenn sie sich nicht um ihr schreiendes Kind kümmert. Für Blaubeerkuchen ist es nun zu spät. Für Cohen zu früh.
Ich steh schon mit einem Bein im Taxi, als der – bereits vorher leicht gestresst wirkende – Taxifahrer beschließt, Gas zu geben, um meiner Blaubeerkuchen verschmähenden Begleitung über den Fuß zu fahren, um fünfzig Meter weiter wieder anzuhalten und einen anderen Fahrgast aufzunehmen. Nach der ersten Schrecksekunde beschließe ich, diesen Affront nicht auf sich beruhen zu lassen, und sprinte zu dem an der nächsten Ampel wartenden Taxi. Da ich um die häufige Bewaffnung und das – in solchen Situationen plötzlich zu Tage tretende – Temperament Berliner Taxifahrer weiß, klopfe ich erst einmal an die Scheibe. Keine Reaktion. Nur die Dame auf dem Rücksitz schaut pikiert und bewegt ihre Hand langsam Richtung Zentralveriegelung. Also reiße ich die Tür auf – und habe einen Axtstiel vor dem Gesicht. „Haut ab, ihr Verrückten!“, schallt es mir entgegen. Meine Wut verwandelt sich in Verwunderung, das Gehirn rattert, kommt jedoch zu keinem Ergebnis. Nacheilende Freunde versuchen, mich zu beschwichtigen, allerdings gibt es nichts zu beschwichtigen. Vielmehr treibt mich nun die Neugier, was ihn so verschreckt haben könnte. Wieder und wieder versucht er, die Tür zuzuknallen. Aber es gelingt ihm nicht, da ich mich weigere, klein beizugeben. Schließlich hält eine Polizeistreife hinter uns. Getrennt werden wir zum Gespräch gebeten, und nachdem ich meine Sicht der Dinge erläutert habe, lausche ich der Aussage des Taxifahrers. Ja, er sei über den Fuß meiner Begleitung gefahren, ja ich sei schon halb im Wagen gesessen, aber er könne das alles erklären. Er habe gehört, wie die junge Dame übers Telefon ihr baldiges Erscheinen im Berghain ankündigte. „Und solche Verrückte hatte ich letzte Woche schon mal. Solche fahr ich nie wieder.“ Also gut, ich ergebe mich, die Stadt, meine Stadt, will es so. Hol doch ’ne Flasche Wein aus dem Keller der Nachbarn, ich besorg die DVD. Uns will ja eh nichts gelingen heute. Hoffentlich lohnt sich das rastlose Gewarte auf Mr. Cohen. JURI STERNBURG