ausgehen und rumstehen : Der Gottesbeweis von Nordneukölln
Nein, die schöne Buchhändlerin hat sich nicht gemeldet. Aber es gibt sie. Ich weiß nur nicht, ob sie wirklich in Prenzlauer Berg wohnt. Eine Zeit lang glaubte ich, die schönen Frauen Berlins müssen zwangsläufig in Prenzlauer Berg wohnen, Katharina Wackernagel zum Beispiel wohnt ja auch da. Inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher. Als wir am Samstagabend aus der orange daherkommenden U2 stiegen, sahen wir nicht mehr schöne Frauen als sonst auch. Sonst auch heißt: wie in Kreuzberg 36 oder in dem Teil Nordneuköllns, der gerade angesagt ist. Was wir ferner sahen, unter dem Licht der Hochbahnstation, waren viele herausgeputzte Vorstadtmenschen, schicke Menschen, die berlinernd auf dem Weg in die Kulturbrauerei waren, schließlich war Wochenende, also raus aus dem Alltag und ab in die Kulturbrauerei! Oder dort in diese Kaffeebar auf der Ecke, Manolo oder so, da wird im Schaufenster getanzt. Man stelle sich vor: Eine Kaffeekette als Partyörtlichkeit für den Samstagabend. War so.
Wir sind trotzdem weiter, wir waren schließlich eingeladen. Nicht wirklich. Über Ecken aber doch. In einer Künstlerwohnung mit Ausblick über die Hochbahn feierte ein Künstler seinen Vierzig-noch-was-Geburtstag. So hatte ich mir Berlin immer vorgestellt: Durch ein durchschossenes, weltkriegsgeschädigtes Treppenhaus geht es in eine herrschaftliche, riesengroße Altbauwohnung. Saniert. Mit weißen Heizkörpern an den Wänden. Es lief französischer Pop aus den Sechzigerjahren, unsere Freundin K. fing gleich an mitzuwippen und von ihrem letzten Vespa-Unfall zu erzählen. Leider konnte sich die Party dann nicht mehr steigern, die Leute waren einfach zu freundlich und knapp jenseits des Alters, in dem man nach irgendetwas sucht. Und mehrheitlich von einer anderen sexuellen Orientierung als wir. Was andererseits natürlich die Freundlichkeit erklärte.
Also zurück durch den Untergrund in den Süden der Stadt. An der Sonnenallee stellte sich ein ganzes Loft für eine Party zur Verfügung. Wir waren unverhofft ans andere Extrem geraten: Statt Gediegenheit erwartete uns Kaputtheit. Bediente Studenten hingen in einfachen Möbeln herum oder tanzten zu einer schrecklich deprimierenden elektronischen Musik. Überall standen Topfpflanzen, natürlich hing irgendwo eine spanische Flagge, überhaupt wurde viel Spanisch gesprochen, wie das in Berliner Studentenkreisen üblich zu sein scheint. Der Tanzraum war dunkel gehalten, damit man ja niemanden sehen konnte. Pärchen verhandelten ihre Probleme und knutschten sie aus, neue Paarungen wollten sich nicht ergeben, so schnell geht das nicht unter Studenten. Immerhin gab es Toastbrote mit Leberwurstaufstrich. Wir zogen weiter.
Im „Freien Neukölln“, welch höhnender Name, war schon Kehraus. Gedrungene Männer saßen erschöpft am Tresen, einer schlief am Tisch. Dabei war es erst zwei Uhr! Der Rest von uns versuchte es weiter. Ab ins „Mama“, einen neuen Laden in der Hobrechtstraße. „Mama“, das passt zur allgemein regressiven Stimmung. Während die Bedienung meinte, ich solle mal Spanisch lernen (wir verständigten uns dann auf Englisch), und die Meute auf türkische Popmusik abging – türkische Menschen waren allerdings nicht darunter –, outete sich Freund H. dann als gläubig. Der Abend wurde immer interessanter! Jetzt tauchte also auch noch Gott auf. Die Gottesbeweise reichten aber nur noch für ein Bier, dann wurde es Zeit, heimzugehen.
Am Sonntagabend spielten Of Montreal im Lido. Das war ein fast göttliches Konzert. Leider ohne Zirkuspferd, dafür mit zwei Zugaben! Und schönen Frauen mit Brille im Publikum. Leider reichen die Zeilen nicht mehr aus, um mehr davon zu erzählen.
RENÉ HAMANN