ausgehen und rumstehen : Ein Wochenende mit Fallen, Falten, Spalten, Spiralen und der Erkenntnis: 40 ist das neue 30
Im Froschkönig war es unterbesucht, aber plauderhaft nett. Im Café Jenseits war es stickig und beklemmend, aber der Apfelkuchen schmeckte gut. Im San Remo war es zugig, der Teppich schief, im Mysliwská war es drängelig voll, man konnte unter lauter Stehenden kaum sitzen. Es lief Techno. Allmählich kann ich diese Musikrichtungen wieder unterscheiden, Tobias Rapps Buch „Lost and Sound“ sei Dank.
Im Bang Bang Club war es intim und freundlich. Vor der Eine-Frau-Vorband zog sich eine wie mit dem Zirkel gezogene Linie vor der Bühne entlang, näher traute sich das Publikum nicht heran. Bei der Hauptband, der School of Seven Bells, blieb den Menschen nichts anderes übrig, als die Linie zu überschreiten, denn der Laden wurde voll.
Im Dave Lombardo war es rege, musikalisch leicht fragwürdig und ein bisschen zu laut, dafür anregend und heiter. Ein Bekannter feierte seinen 40. Geburtstag. Sarah Kuttner, Frau des Wochenendes, hatte im Interview mit dem Tagesspiegel vorgesorgt und bezüglich ihres eigenen 30. Geburtstags bereits erklärt, dass 40 das neue 30 sei. Fanden wir dann auch. Es gibt Menschen, die mit Ende dreißig immer noch dieselben Flausen im Kopf haben wie mit Mitte zwanzig. C’est comme ca.
Die School of Seven Bells aus Brooklyn kamen zu dritt. Zwei junge, kleine Frauen in schwarzer Kleidung mit überlangen dunklen Haaren und ein unscheinbarer Typ mit angedeuteter Wave-Frisur. Eine Maschine mit Beats und Klängen, zwei Gitarren, ein großes Brett mit Effektpedalen zu Füßen des Gitarristen, ein Tremolo in der Hand der Gitarristin und Sängerin und zwei Mikrofone. Die beiden Frauen, Alejandra und Claudia Deheza, bezirzten mit ihren Stimmen den Raum, der Gitarrist, Benjamin Curtis, nicht verwandt mit Ian, drehte seine Gitarrenschleifen dazu. Traumpop, Schuhguckermusik, ich liebe das. Es klang ein wenig wie eine Mischung aus Kraftwerk und My Bloody Valentine, das stand schon woanders so, ist aber einfach nicht von der Hand zu weisen. Der Gesang orientiert sich allerdings auch an der Folksängerin Linda Perhacs, eine Entdeckung wert. Die Erscheinungsform dieser psychohygienischen Musik war erstaunlich nüchtern. Die entsprechende Lightshow spielte sich nur im eigenen Kopf ab, ebenso Nebelbänke und Nebeltische aus der Nebelmaschine. Aber die kreisende, Spiralen drehende Musik, diese katholisch-ekstatischen Melodielinien reichten vollends aus, um den Raum in freundliche Versunkenheit zu versetzen. Die School of Seven Bells spielten sämtliche Stücke ihres Debüts „Alpinisms“, erschienen im letzten Jahr. Dazu hatten sie ein neues Stück im Programm, in dem sie vom Englischen unvermittelt ins Spanische wechselten – wie ein Vorausblick, die Zukunft Amerikas, nie klang Spanisch erotischer. Musik, die von Schmerzen spricht und gleichsam Spuren im Schmerzgedächtnis zu löschen vermag. Musik, die glücklich macht.
Natürlich alles kein Grund, Flokati-Jacken zu tragen. Oder mit nacktem Oberkörper Bass zu spielen. Wirre Bärte, überdimensionale Brillen, ausschweifende Hemden zu tragen. Richtig, wir sind in den Siebzigerjahren. Im Dave Lombardo lief nach einem Konzertmitschnitt von Bachmann Turner Overdrive (die mit dem Hit „You Ain’t Seen Nothing Yet“, den Rest ihres Oeuvres kann man getrost vergessen) eine DVD mit Beat-Club-Aufnahmen diverser Kraut- und Hardrockbands. Die bereits erwähnten Kraftwerk noch mit altehrwürdigen Instrumenten plus Synthesizer. Ein Wochenende mit Bögen, Fallen, Falten, Spalten und Spiralen nahm sein visuell verstärktes Ende. Blueboxeffekte, stundenlang. Wir riefen ein Taxi und aßen noch eine abschließende Linsensuppe bei Hasir. Gut war’s.
RENÉ HAMANN