ausgehen und rumstehen : Pünktliche Partygeher und ein alter Grantler gratulierten der Maria zum sechsten Geburtstag
Schön, dass die notorisch vertrödelten Partygeher dieser Stadt sich wenigstens um Pünktlichkeit bemühen, wenn sie zum Geburtstag geladen werden. Anders kann man sich ja kaum erklären, dass sich, schon kurz nachdem am Freitagabend um elf die Tore aufgehen, eine Schlange vor der Maria formiert, die bis zur Straße hochreicht. Es sind alle auf einmal gekommen, den sechsten Geburtstag der Maria zu feiern.
Mit den zur Unterhaltung der Gäste geladenen Künstlern – so meint man jedenfalls – kann man den Andrang kaum begründen. Peaches, schön und gut, aber The Fall? Ausgerechnet den alten Grantler Mark E. Smith zum Hauptgratulanten zu machen, das grenzt doch schon an Masochismus. Bei einem wie diesem weiß man doch nie, ob er nicht h in die Party-Bowle kotzt – schließlich hat er auch schon mal einen der vielen Gitarristen, die er in den letzten 27 Jahren verschlissen hat, auf der Bühne so angegangen, dass er die darauf folgende Nacht im Knast verbracht hat. Auch sein Publikum mag er meistens nicht besonders. Aber der Berliner mag ja schließlich auch niemanden, insofern passt es schon.
Drin verraten die Aushänge mit dem Zeitplan, dass man getrost noch mal woandershin kann – ja, in Anbetracht der lauen, freundlichen Nacht eigentlich woandershin muss. Schließlich geht es erst mitten in der Nacht richtig los. Und kurz vermisst man die alte Maria, wo ein solcher Abend viel schöner und romantischer gewesen wäre. Wo man gerne war, auch wenn kein Event lockte. Schon allein, weil man in der oberen Etage durch die großen Fenster oder sogar draußen auf dem Vordach sitzend auf die Stadt gucken konnte.
Dafür gibt es ja jetzt entlang der Spree alle naslang eine Strandbar, und später kann man dann seine Schuhe voll Sand auf dem Maria-Boden ausleeren. Knappe zwei Stunden später ist die Schlange weg, auf der Bühnen steht die neue Indie-Supergroup NMFarner – bestehend aus Mitgliedern der Knarf Rellöm Experience, Mina und Masha Qrella – und die machen ihre Sache gut. Auch ist es gar nicht so voll, wie die Schlange befürchten ließ. Später hopst Peaches wie immer zwischen ihren dildobehängten Assistentinnen herum – und das, obwohl sie doch als DJ-Set angekündigt würde. Aber darüber wundert sich niemand. Irgendwann fällt Peaches hin. Ihr Auftritt ist recht unvermittelt vorbei. Vielleicht hat sie sich wehgetan.
Doch bald kündigt dann ein sich ewig hinziehender Loop mit Mark E. Smith’ nöliger Stimme in Rattenfängermanier vom bevorstehenden Auftritt. Die Menschen versammeln sich andächtig vor der Bühne, und es geht endlich los. Schnell hat sich die Band auf ihren dengeligen Groove eingeschwungen, und Smith schimpft und grummelt vor sich hin. Klingt eigentlich ganz gut. Ab und zu ärgert er seine Band, indem er an ihren Geräten rumschraubt oder seinen Einsatz verpasst. Aber sonst ist er eigentlich doch ein formidabler Geburtstagsgast und hat alles und auch sich selbst im Griff. So macht er zum Beispiel sofort den oberen Hemdknopf zu, wenn er aufspringt. Im Jahrestagefeiern hat Smith bestimmt Übung, seine eigenen feiert er sicher schon lange, mindestens dreimal im Jahr. Warum sollte der Mann, der 47 ist, sonst schon wie 71 aussehen – das kriegt doch der härteste Lebenswandel nicht hin.
Die Hälfte der Zuschauer scheint vom Voyeurismus getrieben. Sie wollen diese Kreuzung aus Johnny Cash und Klaus Kinski sehen, bevor er tot von der Bühne fällt. Die andere Hälfte würde vermutlich jede Woche kommen, wenn The Fall jede Woche ein Konzert gäben, und macht einen entsprechend glückseligen Eindruck. Als der DJ im Anschluss ausgerechnet „Tainted Love“ spielt, fühlt man sich plötzlich wie in der Schuldisko. STEPHANIE GRIMM