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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen Wie im München der Achtzigerjahre

In einer Wohnung ohne Leere und Lücken, zwischen Püppchen, Figürchen, Kissen und Fotos, staute sich bullige Heizungshitze. Auf dem Tisch feine Tassen und Teller mit Goldrand und Blümchen. Draußen kümmerliches Licht. Mein Magen schlug über beim Blick auf den Haufen Schlagobers, aus dem ich ein Stück Kuchen ausgrub. Der fette Kater, dessen Bauch zwischen den dürren Beinchen quoll und beim Laufen über den Teppichboden schleifte, schleckte nebenan schnaufend sein tägliches Schälchen Sahne. Er ist abhängig und bekommt regelmäßig vom Tierarzt Spritzen gegen Fettsucht.

Meine Patentante sorgte sich um meine Zukunft und mein Beziehungsleben. „Tanzt ihr denn auch mit Jungs?“, fragte sie geniert. Ich war ratlos um eine Antwort. Ich hatte des Nachts zuvor getanzt. Ich hatte mit Jungs vom schönen Äußeren gesprochen. Und trotzdem war es enttäuschend gewesen, ich hatte mich im Wirbel der Nacht nach einem Fernsehabend gesehnt. Ich hatte getrunken, und nun zitterte meine Hand, wenn ich die Kaffeetasse hob.

Der plötzliche Verdacht: Man amüsierte sich einst anders. Auszugehen galt in früheren Zeiten tatsächlich mal als aufregend, verrucht und unanständig. Ich erinnere mich gut: Mein Opa zuckte regelrecht zusammen, als ich ausgerechnet Saxofon spielen lernen wollte. Er sah mich sofort in qualmigen Jazzkellern voller Schurken und Schweinehunden „auf die schiefe Bahn geraten“, wie er sich ausdrückte. Das ist wenigstens noch eine Vorstellung von flimmernden Nächten! Eine Idee, aus dem Rahmen des herkömmlichen Lebens zu fallen!

Nicht nur belanglos oder gelangweilt rumstehen und hilflos eine viel zu kleine, grüne Bierflasche umklammern. Nicht nur vor einer Bühne ausharren und, weil es nichts Besseres zu tun gibt, in Konzerte reinquatschen. Nicht nur geduldig vor Klokabinen warten – oder an der Garderobe, wo man brav sein Jäckchen abzugeben hat.

Eine Freundin erzählte mir letztens eine Geschichte über eine uns fremde, verschwenderische Art, auszugehen: Sie und ihr Freund wurden von einem Fotografen in die Paris Bar geladen. Dort wurde es dann durchaus lustig. Es gab Champagner und Austern für unverschämt viel Geld. Roten und weißen Wein zugleich, weil die Entscheidung zu schwer fiel. Der Fotograf hing breitbeinig im Stuhl, die Lederjacke überm weit geöffneten Hemd.

Er stritt eine Stunde lang mit seiner Freundin in Südafrika, sprang dann auf, schrie in sein Mobiltelefon und fluchte rechthaberisch, wie man sich vorstellt, dass Fassbinder geflucht haben könnte. Gestikulierte so rabiat, dass die Glut von der Zigarette fiel. Dazu fiel mir nur ein: So muss sich Ausgehen im München der Achtzigerjahre angefühlt haben. Zu dieser aufregenden Zeit wurde ich gerade im rosa karierten Dirndl eingeschult. Und als ich meine ersten CDs kaufen konnte, da gab es schon lange MTV.

Letzten Mittwoch suhlten wir uns im Übrigen wieder in einem einzigen Bluff, machten uns einmal mehr Ausgehglanz und überhitzte Gemütsbewegungen weis. Unser neuer Lieblings-Gitarrenhype Maximo Park aus Newcastle spielte auf. Die jungen Herren hatten sich ordentliche Anzüge gekauft, mit perfekten, zu kurzen Hosenbeinen, damit die Socken sichtbar werden. Nach dem Konzert und dem bisschen Sonne in diesen wenigen Tagen dachten wir schon, es würde Sommer werden und damit käme Neues, Großartiges. Jetzt schneit es wieder. JANE FRÄNZEL