ausgehen und rumstehen : Nein, ich möchte nicht aussehen wie Veronica Ferres: Hintergründe einer Shoppingtour in Mitte
Für heute möchte diese Kolumne bitte umbenannt werden in „ausgehen und rumgehen“. Das hat Folgendes zum Hintergrund: Wer unter der Woche zu viel arbeitet – und damit meine ich einen von diesen Nine-To-Eight-Jobs, die es auch in dieser Stadt noch (oder schon wieder) gibt –, kann am Wochenende nicht mehr ausgehen. Selbst dann nicht, wenn es ein besonders langes ist. Dann verzögert sich der Heilungsprozess höchstens, weil der geschundene Körper spürt, dass er zwei Tage länger zum Rumliegen hat.
In meinem Fall sieht das jedenfalls so aus. Ja, es ist schon eine Weile her, dass ich mir auf einer Tanzfläche das Hemd heruntergerissen habe, um anschließend auf irgendeiner rostigen Brüstung vor dem Club der Sonne beim Aufstehen zuzusehen. Klar, ich könnte Drogen einnehmen und mich zwingen, aber das wäre gegen die Natur, und die verlangt nur eines: Sie will schlafen.
Von Donnerstag auf Freitag habe ich es auf 13 Stunden gebracht; ich habe mich währenddessen nicht einmal umgedreht. Schlafen ist eine sehr gute Art der Kompensation für diesen Raubbau, den regelmäßige Arbeit an Leib und Geist betreibt.
Die zweitbeste Arznei ist eine potenziell besonders kostspielige Form des Ausgehens am hellichten Tag. Sie heißt Shopping und wirkt ungefähr ein bis zwei Wochen, was jeweils davon abhängt, wie lange man sich etwas gewünscht und wie viel man dafür ausgegeben hat (so zumindest meine Erfahrung; wobei ich nichts über den Effekt eines Haus- oder Autokaufs zu berichten weiß).
Seinen ganz besonderen Wert gewinnt das Einkaufserlebnis allerdings erst durch fachkundige, nicht zu ungeduldige Begleitung. Die finde ich am Samstag in Form zweier ausgebuffter Shopping-Profis, beides verdächtig heterosexuelle Männer, die sich ein wenig fürchten, als ihnen ein schwuler Verkäufer bunte Frühjahrshemden anreicht. Ich mag ihn gern, wie er immer wieder am Vorhang meiner Umkleidekabine rüttelt und mit ehrlichem Interesse in der Stimme „Jetzt möchte ich es aber auch mal sehen!“ ruft.
Leider sind die ausgezeichnet sitzenden Jeans fast so teuer wie ein Flug nach Amerika, wo es diese Hosen viel billiger gibt. Anscheinend sind sie dort sogar so billig, dass ich sie neulich nicht kaufen wollte. Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als vorzugeben, ich hätte niemals ein schlechter geschneidertes Stück Bekleidung probiert. Das überzeugt, wir dürfen gehen.
Weiter zu Apartment in der Münzstraße: Hier gibt es außer ein paar beuligen – man muss es analog zum Angebot im 80er-Jahre-Jargon sagen – Fetzen noch ein Paar Chucks mit Jagdmotiven. „Wie unoriginell“, denke ich in meiner grenzenlosen Überheblichkeit, sind die Turnschuhe doch von Bernhard Wilhelm, der deutschen Designerhoffnung in Paris. Ein schöner Laden ist dieser schwarze Folterkeller aber trotzdem, vor allem für Berlin-Besucher immer eine Reise wert, auch wenn er nach Aussage des Jeansverkäufers von weiter oben „in letzter Zeit schwer nachgelassen“ haben soll.
Nein, ich will auch keinen Anzug für Damen, wie es ihn jetzt bei Herr von Eden auf der Alten Schönhauser Straße zu kaufen gibt. Möchte irgendjemand noch so aussehen wie Veronica Ferres in ihrer Helmut-Dietl-Phase? Und wollte das überhaupt mal wer? Je weiter wir aber in Richtung Prenzlauer Berg vordringen, desto näher rückt die Lösung der Modefragen, die sich auf dem Weg durch die Boutiquen von Mitte wie große, alles verschlingende Löcher in uns aufgetan haben. Rettung verspricht – und hält – ein eleganter Laden fast am Ende der Einkaufsmeile. Wer auf den Klingelknopf drückt, wird hineingelassen und kauft sich glücklich. Dafür stehe ich mit meinem Namen. LORRAINE HAIST