ausgehen und rumstehen : Ein gekreuzigter Wolf und die Symmetrie des Mitgefühls
Nachdem die Party mit der zumindest ungewöhnlichen Begründung, die Gastgeberin sei betrunken, für beendet erklärt worden war, gingen wir in Richtung Picnic Club.
Auf dem Weg besprachen wir drei, Park, Trixi und ich, die Sache nach. „Was für ein Stress für all die New Yorker Künstler, für die deutschen Dramaturgen und die spanischen Untergrundkämpfer, die alle so bedeutend und einander doch so unklar waren!“, versuchte ich zu bilanzieren. Trixi ließ währenddessen das Dekor nicht los: „Also, dass Sue extra für ihre Party diesen überlebensgroßen gekreuzigten Esel gebastelt hat, find ich aber auch echt Wahnsinn!“
„Das war kein Esel“, berichtigte Park, „es war ein Wolf.“
Im Picnic Club trafen wir Julian, der nach zwölfstündiger Mitarbeit an einer gendertheoretischen Festschrift zu Recht glaubte, sich jetzt wohl verdient einen hinter die Binde zu kippen dürfen.
„Prost, Kamerad. Prostprost, Kamerad. Prostprostprostprostprostprost, Kamerad“, begrüßte er uns, und schon daran konnte man ablesen, dass er nichts gemein hat mit den Vertretern seines Fachbereichs, die meinen, sie könnten ihr Leben lang allen mit ihrer strafenden Art auf den Sack gehen, nur weil sie mal eine Arbeit über „Schwarze im Hiphop“ oder „Die Konstruktion des Anderen bei Äffele und Pferdele“ geschrieben haben.
Julians Interesse für symmetrische Repräsentation ist einzig und allein Ausdruck einer großen Mitleidsfähigkeit, die sich übrigens auch auf Witzpersonal und ausgedachte Angeklagte in juristischen Fallbeispielen erstreckt. Neulich sahen wir zusammen fern, und es kam eine Werbung für Zahnpasta oder Mundwasser, in der zwei Gebisse sich ein Hauchduell lieferten. Das mit dem beworbenen Produkt bewaffnete Gebiss machte das andere mit seiner monströsen Freshness zur Schnecke, ließ es gefrieren und klirrend in Stücke splittern. Da wurde Julian neben mir traurig und flüsterte sehr mitfühlend: „Das arme andere Gebiss!“
Eben aber dieses rührend große Herz Julians sollte uns nun in Schwierigkeiten bringen, denn Frank sprach uns an. Ich hätte Frank, auch wenn er sich nicht tatsächlich als Frank vorgestellt hätte, hier Frank genannt, denn er war die Fleischwerdung der von Fil Tägert geschaffenen Comicfigur Frank Änänsie, die in „Didi und Stulle“ mit folgenden Worten den armen Stulle belästigt: „DEN Streifen [Rocky Horror Picture Show] können wir uns ja auch mal zusammen anschaun, den hab ich mir lang nicht mehr gegeben … aber – faire Warnung – ich war der beste Frank N. Furter von Osnabrück. Warte mal, wie ging das gleich noch … I’m just a sweet Transvstite … [usw.] Hahaha … Genau, ich kanns noch … HAHAHA. Na siehst du, da ham wir ja schon was vor: Wir schaun uns Rocky Horror an und gehn danach zum Mexikaner.“
Schnell merkte ich, dass Frank in Sachen Feingefühl umgekehrt japanisch agieren würde. Während Japaner ein etwas zu verhalten vorgebrachtes „Ja“ als „Nein“ auszulegen pflegen, würde es schwierig sein, Frank so deutlich „Hau ab“ zu sagen, dass er es nicht als „ne, echt super mit dir hier“ verstehen würde. Deshalb beraumte ich eine Abstimmung an: „Wer findet, dass es schöner war, bevor Frank kam, Finger hoch!“
Julian ließ nicht nur die Hand unten, sondern beschimpfte mich auch noch wegen meiner kalten Art, die ich bestimmt nicht hätte, wenn ich früher auch so ein „arger Hirbel“ (Julians Lieblingswort für verworrene Außenseiterkinder) gewesen wäre wie er. Während er sich gegen mich in Rage redete, musste sich Julian aber immer stärker der Übergriffe Franks erwehren, der nun natürlich endgültig einen Deppen an ihm gefressen hatte. Ein Zweifrontenkrieg aus Güte! Seine Anspannung sollte sich erst anderntags beim Konzert der besten Rock’n’Roll-Band Zentraleuropas, den Spankings, lösen.
JENS FRIEBE