ausgehen und rumstehen : Model-Anwärterinnen fallen auf die Schnauze, ein glücklicher Wallach landet beim Abdecker
Bei meinem Lieblingsschuster hängt ein paar Mal am Tag ein Schild in der Tür: „Bin beten. Komme gleich wieder.“ Neulich haben er und ich festgestellt, dass er irgendwo da beten geht, wo ich abends hin und wieder saufen gehe. Aber vielleicht freut sich der Prophet ja prinzipiell über so viel Zuspruch.
Freitagabend war ich wieder in jenen schauen Lokalitäten am Kotti, und obwohl keine Betteppiche mehr herumlagen, fühlte ich mich gleich erhaben, als ich reinkam. An den Wänden kleben niedliche alte Tapeten und Tabletts mit Tierstillleben, der Kühlschrank steht mitten im Raum wie ein Orgon-Akkumulator, und man kann prima auf den Wandbänken sitzen und die Leute beobachten, die reinkommen, erst mal über die Stufe abwärts stolpern und dann peinlich berührt versuchen, ihren Fehltritt zu vertuschen.
Es erinnerte mich an das Büro einer Freundin, das in einem Gartenhaus in einem Hof mit Kopfsteinpflaster liegt. An ruhigen Nachmittagen pflegt meine Freundin kichernd mit ihren Kolleginnen am Fenster zu sitzen und den Modelanwärterinnen zuzugucken, die sich auf ihren klappernden Highheels wie besoffene Seefahrer über die Huckelsteine tasten, um sich bei der benachbarten Agentur vorzustellen. Einmal ist eine auf die schöne Schnauze gefallen, und meine Freundin musste mit Heftpflaster aushelfen. Das wurde an dem Tag aber nichts mehr mit dem Catwalk! Wer will schon eine Mumie, die Bademoden vorführt, nicht wahr?
Freitagabend jedenfalls rettete sich ein englischsprachiges Pärchen nur durch einen Ausfallschritt in Leute vom Jeans Team knapp vor dem Hinfallen, obwohl ich gar nicht sicher bin, ob das wirklich das Jeans Team war, denn die hab ich das letzte Mal vor Jahren mit weißen 80er-Papieroveralls auf einer Bühne gesehen, und das Outfit hatte ich mir ehrlich gesagt besser gemerkt als die Gesichter.
Samstag ging es dafür stolperfrei zu „Berlin Insane IV“ in die Volksbühne, wo ich bei einem grandiosen Konzert von Mosermeyer in eine so angenehme Trance fiel, dass der weitere Abend mit Goldfish und dem nie um einen Stylingtipp verlegenen Boy from Brazil wie ein großer, freundlicher, lauter Klumpatsch an mir vorbeiglitt. Ich wusste gar nicht, dass ich für wahnsinnig verhallte The-Cure-Gitarren so empfänglich bin. Aber Mosermeyer sind eben Profis, das merkte man schon an den Visuals, die obendrüber flackerten – ziellos verschwommene, regnerische Autofahrten, die exakt auf dem Punkt endeten, an dem Rudi Moser das letzte Mal auf sein beeindruckendes Drumset hieb.
Als ich danach beseelt gehen wollte, machte mich meine Toilettennachbarin doch noch neugierig auf die Band, die gleichzeitig im Grünen Salon spielte: „Findste nicht auch, dass der Sänger so süß unbeholfen aussieht?“, schrie sie durch die geschlossene Tür die davor wartende Freundin an. Und mit „süß unbeholfen“ kriegt man mich ja immer. Es waren aber nur die extrem umtriebigen Jungs von RichandKool, die da nebenan electrogroovten, und in dem Zusammenhang ist „süß unbeholfen“ schon fast eine Beleidigung.
Sonntag versuchte ich dann mein Glück zum Saisonabschied in Hoppegarten. Und Schaman, ein fünfjähriger schokobrauner Wallach, auf den ich zwei mir vom Munde abgesparte Euro gesetzt hatte, entledigte sich schon vor Rennbeginn seines Jockeys und lief dann ganze zwei Runden reiterlos, glücklich und in seinem eigenen Tritt auf der leeren Bahn, bis die schockierten Trainer ihn wieder einfangen konnten. Ich gewann also nichts, aber irgendwie war es angenehm, das Viech so frei und unbeschwert rennen zu sehen. Hoffentlich war der jetzt nicht schon auf Strafexkursion beim Abdecker.
JENNI ZYLKA