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Archiv-Artikel

ausgehen & rumstehen Vanity Fair – Feiern mit Gefeuerten

Es herrscht ausgelassene Partystimmung. Dass eine der Veranstalterinnen gerade frontal mit dem Kopf in die Glastür gefallen ist, tut der Stimmung keinen Abbruch. Man hat bedeutendere Probleme auf dieser Fete.

Denn heute Abend feiert man seine eigene Kündigung. Bei so etwas geht der Glamourfaktor meist gen null. Ungern sieht man Menschen ihre Arbeit verlieren, selbst wenn es sich um die Belegschaft der Vanity Fair handelt. Und doch hält sich das Mitleid heute in Grenzen, vor allem da jeder ungefragt seine neuesten Projekte verkündet oder feststellt, dass dieses Hochglanzmagazin „eh nicht mehr sein Ding war“.

Man muss sich also keine Sorgen machen. Den Gekündigten geht es gut, und für ihre Resozialisierung ist höchstwahrscheinlich gesorgt. Die alte Weisheit „desto weniger schade es um einen ist, desto mehr Angst hat man“ wird hier nicht gelebt.

Das leise geflüsterte Codewort Vanity Fair sorgt an der Bar für einen nicht enden wollenden Fluss an Gratis-Alkoholika, und nach dem dritten Caipirinha versucht man die Anwesenden sympathisch zu finden. Doch darauf war die Meute vorbereitet. Denn bei solch einem Menschenschlag verhält es sich meist wie mit französischen Kellnern: behandelst du sie wie Dreck, sind sie freundlich, weil sie denken, man sei wichtig. Wird man dann selber freundlich … unnötig den Satz zu beenden. Das Ganze erinnert, schon während man da ist, ein wenig an eine Party, an die man sich später nicht erinnern wollen wird. So dankt man höflich für die Einladung, erkundigt sich nach dem Wohlbefinden des Fräuleins mit der größten Beule der Welt und macht mit eins, zwei Gleichgesinnten einen Abflug. In der Vanity Fair hätte gestanden: „Auf den Schwingen der Paradiesvögel gleiten sie in die Nacht.“

Im Taxi stellen wir schockiert fest, dass einer der uns Begleitenden Werbetexter von Beruf ist. Als er aufzählt, für wen er alles schon getextet hat und unter anderem „Tchibo“ zu vernehmen ist, frage ich mich, ob er vielleicht das Genie war, welches vor kurzem auf deutschen Tankstellen den Kaffee-Werbespruch „Jedem den seinen“ plakatieren ließ. Ich traue mich nicht nachzuhaken, immerhin lernten wir ihn auf einer Party für Gekündigte kennen. Er hat augenscheinlich jede Menge Geld und bedrängt uns, dieses nasentechnisch einzusetzen, doch die Mailbox hat schlechte Nachrichten für ihn: „Dein Koksdealer ist mit deinem Geld bis Ende nächste Woche in den Türkeiurlaub geflogen!“, lautet die erfrischend ehrliche Bandansage. Wäre man selbst doch immer so ehrlich wie jener Drogenhändler, dann könnte man dem Werber auch einfach sagen, er solle nach Hause gehen. Er war der wandelnde Inbegriff eines Phänomens, den erst jüngst wieder Maybritt Illner im Zusammenhang mit der Diskussion um Piusbruder Williamson als Metapher nutzte: ein Spaltpilz.

Spaltpilze wuchern überall. Sie schleichen sich in Taxen oder epochale Abstimmungen, nisten sich ein und versuchen Einfluss zu kaufen oder Zwietracht zu säen. Und meist funktioniert das auch, zumindest an diesem Abend.

So finde ich mich allein in einer Dönerbude auf der Oranienburger Straße wieder, und sogar die mich stark belästigende Dame des horizontalen Gewerbes ist ein abwechslungsreicher Segen. „Wat bist’n so miesepetrig?“, blafft sie mich irgendwann an. Ich kaufe zwei Schnäpse, die wir uns hinter die Binde kippen, und führe das mit Abstand interessanteste Gespräch des Abends, wenn nicht sogar des – allerdings noch kurzen – Jahres. Zum Abschied sorgt sie für ein Dauergrinsen auf dem Nachhauseweg und einen fantastischen Schluss für diesen Artikel: „Kennste ’n altes Hurensprichwort?“, fragt sie. Überraschenderweise muss ich verneinen. „Lieber mach ich’s ’nem Spasten mit der Hand als ’nem Tauben auf’m Dach!“

JURI STERNBURG