ausgefallene welten : Gegen den modernen Fußball
HOLGER PAULER, Jahrgang 1972, ist Sportchef der taz nrw und trotz allem regelmäßiger Stadiongänger
Das Oblomow in der Bochumer City ist nicht unbedingt die Art Kneipe, in die man sich gerne verirrt. Das Licht ist gedimmt, der Boden klebt, es riecht nach Rauch und verschüttetem Bier. Die Musik überschreitet die Zimmerlautstärke um ein Vielfaches. „Asischuppen“ hätte man in den 80ern gesagt.
Als ich im Sommer 1994 meine ersten nächtlichen Gehversuche in Bochum machte, blieb ich am „Ob“ hängen. Die Kneipe hatte einen schlechten Ruf. Der SHB tagte hier, Punks saßen vor der Tür und ab und zu versuchten Nazis den Laden aufzumischen. Während der Fußball-WM 1994 traf ich dort mit Erstsemesterkollegen zum Private Viewing. Die Anzahl der Gäste war überschaubar, der Zapfhahn lief. Am Ende des Tages torkelten wir regelmäßig die schmale, steile Treppe des alten Obs hinunter. Die Tatsache, dass wir den Abstieg trotz zahlreicher Biere sicher meisterten, schien die Stammkundschaft zu beeindrucken. Prompt verpflichteten sie uns für ihre Thekentruppe Blauer Stern Oblomow.
Auch heute noch schnüre ich meine Fußballschuhe für das Team. Der Umzug der Kneipe in die unmittelbare Nähe des Hauptbahnhofs hat daran nichts geändert. Und nach den Heimspielen des VfL Bochum ist das Ob immer noch ein beliebter Treffpunkt für einheimische Fans: Kutten, Normalos, sogar die Ultras fühlen sich hier wohl – oder besser: fühlten.
Vor vier Wochen wollten wir die Nachbesprechung des Spiels VfL Bochum gegen Borussia Dortmund ins Ob verlegen. Die Bochumer hatten die ungeliebten Nachbarn mit 2:0 besiegt und in arge Abstiegsnöte gebracht. Der Rückweg vom Ruhrstadion in die Stadt verlief trotzdem ohne Probleme. Bis zum Ob. Eine halbe Hundertschaft Polizisten hatte die Kneipe hermetisch abgeriegelt. Fans wurden aufgefordert „gefälligst weiter zu gehen“.
Vor dem Spiel war es zu Auseinandersetzungen zwischen den Fangruppen gekommen. Die Polizei hatte mehrere hundert BVB-Fans am Bochumer Hauptbahnhof in Empfang genommen um sie zum Stadion zu führen. Nach wenigen Metern stockte der Zug am Oblomow. Es flogen Flaschen und andere Gegenstände. Nach ein paar Minuten wurden die Dortmunder weitergeführt, während etwa 80 Ultras des VfL Bochum ins Oblomow eingesperrt wurden. Dort durften sie das Spiel im TV sehen, während ihre Eintrittskarten verfielen. Nach dem Spiel wurden ihre Personalien aufgenommen. Seitdem ist es den Fans nicht mehr erlaubt, sich an Spieltagen im Stadion oder in der Stadt aufzuhalten.
Vor zwei Wochen, nach dem Spiel gegen Hannover 96, war die Kneipe wieder frei zugänglich. Der Polizeischutz vor der Kneipe diente nur zu unserer „Sicherheit“. Sehr aufmerksam. Nur irgendwie schmeckt das Bier seitdem nicht mehr. HOLGER PAULER