aus der welt der anwälte von KATHARINA REHSE :
Wenn mein neuer Chef möglicherweise auch eine Koryphäe seines Faches, des Rechtswesens, war, von etwas anderem verstand er so viel wie kein Zweiter. Als ich am ersten Arbeitstag morgens sein Zimmer betrat, lag auf dem Boden ein in sich verknoteter Fleischhaufen, eine Art aufgequollener Würstchenkranz, der rasselnde und koffernde Geräusche von sich gab. Filmreif schrie ich nach Hilfe. Meine Kollegin, die ich seit circa zweieinhalb Minuten kannte, eilte herbei und sagte: „Netter Versuch, aber hier wird das anders gemacht.“
Sie zog mich aus dem Zimmer und den langen Gang hinunter. In der Küche arbeitete die Kaffeemaschine unter vollem Einsatz. Meine Kollegin riss den Kühlschrank auf und griff nach dem Riechsalz. Dann stellte sie eine kartoffelförmige Tasse mit eindrucksvoller Knollentrinkernase und das Fläschchen auf ein Tablett und drückte mir eine silberne Schüssel in die Hand.
Zurück im Chefzimmer, hielt meine Kollegin, die ich seit circa fünf Minuten kannte, meinem nagelneuen, wenngleich nicht mehr ganz frischen Boss das Riechsalz unter die Nase. Der Fleischberg begann zu zittern, zu beben und zu zappeln, entwurstete seine Glieder und streckte meine Kollegin, die ich seit circa sechs Minuten kannte, mit der linken Faust nieder. Sie schüttelte sich, stand auf und reichte ihm den Kaffee. Dr. Duckstein, mein wiederbelebter neuer Chef, brüllte: „Zigaretten!“ Meine Kollegin zog die Augenbrauen hoch und sagte: „Eis.“
Ich lernte schnell und übernahm den morgendlichen Job bald in Eigenregie. Dabei kassierte ich pro Monat lediglich drei justiziable Upper Cuts. Was will man weniger! Andere Chefs machen sich noch nicht mal die Mühe, die Faust gegen ihre Angestellten zu erheben, und entlassen sie ohne jeden sportlichen Einsatz.
Heute werden Konzernleiter vors Gericht gezerrt, nur weil sie 500 Millionen Euro unterschlagen haben. Bei uns fand noch am außergerichtlichen Arbeitsplatz ein ehrlicher Faust- und Klassenkampf statt. Spätestens um halb eins fragte ich: „Chef, was soll das werden nachher vor Gericht?“ Muhammad Duckstein konterte schlagfertig: „Ein Verhandlungstermin.“ Ich: „Sie sind doch komplett stulle!“ Er: „Tscha, das ist Ihr Problem. Ich bin hier der Chef. Ich schlafe jetzt.“
Ich nahm mir also die Akte, marschierte zum Gericht, traf in der Verhandlung auf die alte Pottsau Dr. Eberspächer, meinen Ex-Chef, den Gegenanwalt, und stellte die Anträge von Dr. M. Duckstein. Dann stolzierte ich zurück.
In der Kanzlei war bereits das schnörkelloseste Klassenkampftrinken im Gange. Doc Duckstein kübelte aus seiner silbernen Schüssel zwanzig Jahre alten Glenmorangie in sich hinein, und meine Kollegin, die ich seit circa drei Monaten kannte, prostete sich selber mit Sekt in der rechten und Underberg in der linken Hand zu. Augenblicklich tauschte ich die Akte gegen den Durst.
Gegen zwei Uhr morgens riss sich Sumo Duckstein dann zu dem Bonnie-Tyler-Klassiker „I Need A Hero“ das Versace-Hemd vom Leib und jodelte: „Bauchvergleich, Bauchvergleich!“
Den Prozess aber haben wir gewonnen. Das nenne ich Gerechtigkeit.