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auf der alm, da gibt’s koa sünd (teil 9 und schluss)taz-Sommerreporter JOSEF WINKLER wartet auf die Kühe, die nach Hause kommen

Walmuts letzter Sommer

In der Viehhaltung darf man nicht sentimental sein. Die Notwendigkeit, ein Tier aus dem Bestand auszumustern, wird immer wieder im Raum stehen, und wo kämen wir denn hin, wenn das dann jedes Mal in ein kleines Drama ausarten würde, wenn der Viehlaster kommt? Früher, bei uns zu Hause, ist es jedes Mal in ein kleines Drama ausgeartet, wie wohl in vielen Bauersfamilien. Ich bin da emotional nicht abgehärtet.

In der Viehhaltung darf man nicht sentimental sein. Aber wie sollte das gehen, wenn man in die tiefen braunen Augen von Walmut blickt, einer Grande Kuhdame von Lauren-Bacall-esquer-Eleganz, und weiß, dass dies ihre letzten Wochen sind? Vorigen Sommer hatte Walmut einen Unfall: Beim Aufstehen war sie sich mit dem Hinterfuß auf eine Zitze getreten und mit halb abgerissenem Strich von der Weide gekommen. Die Pflege der Wunde beschäftigte uns Monate, schließlich schimmerte rosiges Narbengewebe. Doch mit der neuen Laktationsphase wurde klar, dass der Kuhorganismus die Konsequenzen gezogen und das geschundene Euterviertel stillgelegt hatte. Dieses Jahr produziert Walmut nur noch auf drei Vierteln Milch, „in der Natur“ kein großes Problem, in der Milchwirtschaft allerdings unrentabel.

Schon im Juni eröffnete mir mein Bauer, er werde Walmut im Herbst „dem Metzger geben“, eine Information, für die ich ihn hätte würgen können. Dead Cow Walking. Man möchte es zumindest nicht wissen müssen.

Und nun kündigte er vor zwei Wochen an, ab Oktober gänzlich von Milchvieh auf Jungtieraufzucht umzustellen. Nach Jahrhunderten Milchwirtschaft auf dem uralten Hof, nach 43 Sommern, die allein meine legendäre Vorgängerin Rosi für den Hinterstockklauser zur Alm gefahren ist – und in denen sie Generationen von Pinzgauer Kühen unter ihren Fittichen hatte –, und nach den beiden Sommern, die ich das Glück hatte, da zuletzt noch dranhängen zu dürfen, geht nun eine Ära zu Ende. Getreu den Gesetzen der Marktkonzentration: Sein Almrecht hat Rudi an den Nachbarn verkauft, der ab nächstes Jahr acht Kühe mehr raufschicken wird, enthornte Fleckviehmädels mit dicker Milchleistung, der der Pinzgauer „Traditionsrasse“ weit überlegen. „Mein“ Team wird auseinandergerissen werden, Walmut, Stankonia, Schweizer, Preis, Linda, Braunei, irgendwo rollt schon der Viehlaster. Ein paar werden in anderen Ställen landen, der Rest … Man muss es verstehen. Man könnte heulen. Ich habe schon fantasiert, die Herde aufzukaufen, und sie … tja, was? Auf einen Gnadenhof zu stellen? Für Kühe gibt es keine Gnadenhöfe, für Kühe gibt es Salami. Es ist leider so.

Ende August. Die Kälber sind gewachsen, die Hänge fahl geworden, die Kühe dünner, viel Gras finden sie nicht mehr. Ich werde dieser Tage anfangen, aus den Angeboten der Waldflora gar exotischen Kopfschmuck für den Almabtrieb zusammenzuflechten. Die Kühe mögen das Zeug nicht gern um die Hörner haben, aber da müssen sie durch, ein würdiger Abgang muss einfach sein. Und bis dahin machen wir es uns noch sehr nett hier oben. Sie werden also verstehen, wenn ich mich jetzt verabschiede. Allerwärmste Danksagungen gehen hinaus an Kathrin Zwisler, Michael Sailer, Rudolf Windberger, an Woifi und Hildegard sowie an Maria und Georg Weißbacher für die Telekommunikations-Hilfestellung. Einen wunderschönen Restsommer noch. Stay on the scene like a melkmachine!

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