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Archiv-Artikel

amerika im krieg (14) Ein Tagebuch unseres USA-Korrespondenten Michael Streck

Als Freak im „Bibelgürtel“

Katie hat rot gefärbte Haare, blaue Fingernägel, ein mit glitzernden Sternen behängtes T-Shirt und trägt zwei rosa Hasenohren auf dem Kopf. Das wäre nicht weiter der Rede wert, würde sie in New York oder San Francisco leben und hinter einem Bartresen stehen. Doch sie wohnt und arbeitet in Anniston, im Herzen Alabamas, einer amerikanischen Mustersiedlung, die um eine Highwaykreuzung wuchert. Der alte Ortskern stammt noch aus der Zeit, als hier Erze gefunden wurden. An der Hauptstaße hängen vereinzelt Fähnchen an den Laternenpfählen „Dining in Downtown“. Ein Witz. Zwei Restaurants sind offen. „Hier gibr es mehr Kirchen als in Los Angeles Spirituosenhandlungen“, sagt Katie.

Zwischen all den Kirchen klemmt eines der beiden Restaurants, das „Cafe Bella Donna“. Seine Existenz ist so unerwartet wie ein Französisch sprechender Texaner. Der Laden ist die Hoffnung der Stadtväter und Wallfahrtsort für die kleine Minderheit überdrüssiger Fast-Food-Konsumenten. Er besitzt das Verkaufsmonopol für die New York Times im Umkreis von 100 Meilen und eine funktionstüchtige Espressomaschine. „Ich hatte einfach keine Lust mehr, für gutes Essen eine Stunde nach Birmingham oder Atlanta zu fahren“, erzählt Leda Harris, Katies Freundin und Chefin. Beide sind robuste Frauen, die unter ihrer Körperfülle nicht zu leiden scheinen. Und beide fühlen sich hier im „Bibelgürtel“ der USA längst nicht mehr zu Hause.

Katie ist auch nach Kriegsbeginn eiserne Gegnerin der Invasion geblieben. Natürlich würden die irakischen Menschen wie alle Völker Demokratie verdienen. „Doch wir müssen nicht der Weltpolizist sein, der allen Ländern unseren Willen im Namen der Freiheit aufzwingt.“ Bush hoffe doch nur, durch den Krieg die lahme Wirtschaft anzukurbeln. Zwei Frauen lauschen ihren rebellischen Tönen, widersprechen ihr über den Tresen, und plötzlich entlädt sich eine leidenschaftliche Debatte über Antiamerikanismus, falsch verstandenen Patriotismus und die Beschränktheit in Alabama.

Die beiden Grundschullehrerinnen wollten eigentlich nur ein Bier auf den Feierabend heben. Doch so sind sie hier im Süden. Streitlustig, geradeaus und stolz. Entweder hundert Prozent konservativ oder liberal. Sie verachten oder verehren George W. Bush, lieben oder hassen Bill Clinton. „Wir sind die großartigste Nation auf der Welt“, sagt die Blonde. Warum? „Weil wir die Besten sind.“ Warum? „Weil wir die Freiesten sind.“ Katie lacht etwas höhnisch. Als sie nicht Cheerleader in ihrer Schule werden und „blöde mit den weißen Büscheln“ herumwedeln wollte, wurde sie fast verstoßen. Es gebe nichts Uniformeres als die High School. Alle würden die gleichen Gap- oder Tommy-Hilfiger-Klamotten tragen mit den unauffälligen Farben. Mit ihren schwarzen oder grellen Kleidern wurde sie als „Freak“ bezeichnet. „Das ist hier kein Sympathiebonus.“

Jetzt studiert sie zum Glück an der Universität. Hier hat sie Gleichgesinnte gefunden und kann auch endlich ihren Lieblingssport, Fußball, spielen. Katie liebt Europa. Von der Frauenrunde ist noch niemand außer ihr im Ausland gewesen. „Wir bilden uns immer ein, das Zentrum des Universums zu sein. Meine Reisen haben mir die Augen geöffnet. Sobald ich kann, verschwinde ich hier.“ Die Fluchtgedanken haben jedoch noch einen anderen Grund: Außerhalb von Anniston, der „Giftstadt“, wie sie hier auch genannt wird, befindet sich eines der größten Chemiewaffenlager der USA. Die Bestände sollen demnächst in einem höchst umstrittenen Verfahren, das erhebliche Risiken birgt, vor Ort vernichtet werden.