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Archiv-Artikel

amerika im krieg (13) Ein Tagebuch unseres USA-Korrespondenten Michael Streck

In der einen Hand die Bibel, in der anderen den Revolver

Jesus ist allgegenwärtig auf dem Weg nach Birmingham im nördlichen Alabama. Sein Name steht auf großen Papptafeln, leuchtet vor Moteleinfahrten und hängt an Bäumen. Ein besonderer Verehrer machte sich die Mühe, ein Hinweisschild über dem Highway mit „Jesus lebt“ zu besprühen. Im Autoradio wird über ihn gepredigt und aus dem Lukasevangelium vorgelesen. Der Kanal „Halleluja FM“ spielt christliche Popmusik, als die sanften Ausläufer der Appalachen den Blick freigeben auf Hochhäuser, Schornsteine und Fabrikhallen.

Die Straßenschluchten von „Downtown“ sind um die Mittagszeit ausgestorben. Einige schwarze Bettler dösen in der Frühlingssonne im Park vor dem Civil Rights Institute. Das Museum beherbergt interaktive Ausstellungen und die umfangreichste Dokumentation zur Geschichte der US-Bürgerrechtsbewegung. Der Besucher begibt sich auf eine Reise zurück in die Zeit separierter Bussitze, Kirchenbänke und Bürgersteige für „Farbige“. Die Bergbau- und Stahlstadt Birmingham, das wirtschaftliche Zentrum des Bundesstaats Alabama, war bis in die 60er berüchtigt für die schärfste Rassentrennung in den USA.

Colonel Stone Johnson war damals Chef der örtlichen Eisenbahnergewerkschaft. Der Bürgerrechtsveteran kämpfte gemeinsam mit Martin Luther King gegen Diskriminierung, um gleiche Löhne, Verträge und soziale Absicherungen. Wenn der 84-Jährige von den Demonstrationen und Streiks spricht, leuchten seine wachen Augen. In weißem Hemd und elegantem beigem Anzug sieht er wie ein Bühnenmusiker aus.

Johnson ist tief religiös. Politischer Kampf ist für ihn untrennbar mit seinem Glauben verbunden, der zum friedlichen Widerstand anleitet. „Gott ist für Frieden und Freiheit, gegen Angst und Gewalt.“ Daher lehne er den Irakkrieg ab.

Aber Präsident Bush begründet den Krieg auch mit Gott? Johnson weist dies energisch zurück. „Bush verdreht die Religion, um Macht- und Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Ich verstehe nicht, warum tausende Iraker sterben müssen, um einen Mann zu töten.“

Drei junge weiße Frauen laufen mit Notizblöcken an dem ergrauten Zeitzeugen vorbei. Sie müssten einen Vortrag für ein College-Seminar vorbereiten. Was sie vom Irakkrieg halten, will Johnson wissen. Eigentlich würden sie sich nicht darum kümmern. Aber sie befürworten die Invasion und ihre Argumente verdichten sich zu der immer gleichen Lobeshymne vieler weißer Südstaatler: Sie bewundern Bush, da er seinen moralischen und christlichen Prinzipien folgt.

Auf den Einwurf des alten Mannes, Expräsident Jimmy Carter sei auch zutiefst religiös und würde aus diesem Grund den Krieg ablehnen, antwortet eine Frau: „Hm, das ist interessant.“

Institutsmanager L. A. Simmons hält Bushs Gerede von Glaube und Freiheit für gefährlich und irreführend. „Weiße haben schon immer in der einen Hand die Bibel und in der anderen den Revolver gehabt“, sagt er. Wer durch das Museum geht, versteht, warum Afro-Amerikaner Männern wie Bush misstrauen. Im Namen Gottes wurde gelyncht und erschossen. Ehrbare Männer am Tage – darunter auch Pfarrer – stülpten sich des Nachts die weißen Kapuzen des Ku Klux Klan über, brandschatzten und mordeten. Fotos zeigen Kirchgänger, die nach dem Sonntagsgottesdienst zum „Lynch-Picknick“ gingen. Während Schwarze im Hintergrund am Baum hängen, werden genüsslich Hähnchenkeulen verspeist. „Was Freiheit anbetrifft, besteht Amerikas Geschichte aus gebrochenen Versprechen“, sagt Simmons.