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Archiv-Artikel

american pie Die MLB steckt in der Krise

Schnee am Opening Day

Es war einmal … Märchen beginnen so. Märchen spielen gemeinhin in Zeiten, in denen, wenn schon nicht vieles besser, dann doch zumindest alles anders war. Kurz gesagt: in den guten, alten Zeiten. Alljährlich werden Anfang April die Amerikaner an solche Zeiten erinnert, alljährlich wenn „Opening Day“ ansteht, der Beginn der Baseball-Saison. Früher einmal, schreiben wehmütig dann die Kommentatoren altehrwürdiger Tageszeitungen, früher einmal schwänzten Jungs die Schule, um ins Stadion gehen zu können, zogen Paraden durch die Innenstädte und stieg der Krankenstand in den Betrieben an, wenn die so genannte „National Pasttime“ den Spielbetrieb eröffnete. Opening Day, das war ein amerikanisches Ereignis, das war der Beginn des Sommers. Diesmal begann in Baltimore die Saison mit 13 Minuten Verspätung – wegen Schneefalls.

Baseball, das steht im kollektiven amerikanischen Bewusstsein für das Früher – als die Welt noch in Ordnung war. Mittlerweile befindet sich Amerika im Krieg und Baseball schon seit längerem in einer Krise. Football hat ihm den Rang als populärster Profisport abgelaufen. Auch diese Saison wurde zwar mit dem üblichen Medien-Ballyhoo eingeläutet, aber ohne die noch vor Jahrzehnten im ganzen Land zu spürende nervöse Anspannung: Der amtierende Meister, die Anaheim Angels, verlor am Sonntag in einem vorgezogenen Spiel 3:6 gegen die Texas Rangers. Am Montag folgte der erste vollständige Spieltag, den mancher Klub zum patriotischen Akt zu stilisieren suchte: Zu „USA, USA“-Sprechchören flatterte das Star Spangeld Banner, Kampfjets überflogen die Stadien und Schweigeminuten wurden eingelegt.

Trotzdem blieben viele Sitzplätze in den Stadien leer. Notgedrungen ist Major League Baseball (MLB) längst auf der Suche nach neuen Absatzmärkten: Diese Saison sollte eigentlich in Tokio zwischen den Oakland A’s und den Seattle Mariners mit ihrem japanischen Aushängeschild Ichiro Suzuki eröffnet werden. Die beiden Spiele wurden aber wegen des Krieges abgesagt. Auch die New York Yankees, immer noch der umsatzstärkste Sportklub der Welt, haben pünktlich zu ihrer 100. Saison den asiatischen Markt entdeckt. Das eh schon mit Stars gespickte Team stach in einem millionenschweren Wettbieten um die Dienste von Hideki Matsui die anderen MLB-Franchises aus. Als der Homerun-König der japanischen Liga in New York vorgestellt wurde, fanden sich 400 Journalisten ein. Und siehe da: Der Hüne mit dem Spitznamen „Godzilla“ donnerte gleich in seinem ersten Auftritt einen Punkt für die Yankees ins Ziel. Der gelungene Auftakt wurde in Japan am frühen Morgen in für diese Tageszeit sehr gut gefüllten Cafés bejubelt.

Einen guten Start erkannte auch das New Yorker Stadtmagazin Village Voice. In seinem alljährlichen Trikot-Test stellte man fest, dass die übelsten Modesünden der Vergangenheit in dieser Saison ausgemerzt scheinen. Nur die Boston Red Sox würden in einem die Augen beleidigenden, arg roten Outfit auflaufen. Ein Spieler, so wird kolportiert, befürchte gar: „In diesen Dingern kann man uns aus dem Weltraum sehen.“ Vielleicht warten genau dort die neuen Absatzmärkte, die Baseball so bitter nötig hat?

THOMAS WINKLER