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Archiv-Artikel

american pie Bärige Begeisterung am Mississippi

Lakers-Legende Jerry West hat die einst so harmlosen Memphis Grizzlies zum gefürchteten Playoff-Anwärter in der Basketball-Liga NBA gemacht

Lange hatte es Jerry West nicht ausgehalten im Ruhestand. Das wunderte niemanden bei dem umtriebigen Mann, der 1969 als Spieler mit den Los Angeles Lakers Meister geworden war und von 1982 bis 2000 als Generalmanager erst das große Lakers-Teams mit Magic Johnson und Kareem Abdul-Jabbar kreiert, dann jenes mit Shaquille O’Neal und Kobe Bryant auf den Weg gebracht hatte. Doch wohin es den 65-Jährigen verschlug, als er sein Pensionärsdasein satt hatte, das rief ungläubiges Staunen hervor: Ausgerechnet Memphis, ausgerechnet die Grizzlies. Das erfolgloseste Basketball-Team der NBA, das gerade aus Vancouver, wo es sich nie etablieren konnte, nach Tennessee transferiert worden war. Eine Mannschaft, die nie mehr als 23 Spiele pro Saison gewinnen konnte. West spinnt, lautete das einhellige Urteil.

Nicht einmal zwei Jahre später haben die Grizzlies in ihrem neuen Habitat am Mississippi schon 34 Saison-Partien gewonnen, obwohl noch 25 zu spielen sind. Nur eine weniger als etwa die Titelaspiranten Dallas Mavericks und Los Angeles Lakers. Der Einzug in die Playoffs ist sehr wahrscheinlich, und die Basketballbegeisterung wächst in Memphis, wo man 40 Jahre lang darum kämpfte, ein Profisport-Team beherbergen zu können. In diesem Jahr wird auch die neue Arena fertig, die Zukunft scheint rosig. Das Team ist mit 25 Jahren im Schnitt jung, und Jerry West wird schon dafür sorgen, dass es weiter aufwärts geht, davon sind die Sportfans in Tennessee überzeugt.

West hat sich in Memphis als weiser Stratege erwiesen, der seine Vorgehensweise genau den Gegebenheiten anpasste. Im kleinen Sportmarkt Memphis konnte er nicht mit der Superstarmethode wie bei den Lakers klotzen. Er konzentrierte sich darauf, eine Mannschaft ohne allzu große Namen zusammenzustellen, in der jeder Baustein zum anderen passte, jeder sein Ego dem Teamgedanken unterordnete. Als Coach gewann er den 70-jährigen Hubie Brown. Der hatte 16 Jahre nicht mehr als Trainer gearbeitet, sondern war ein angesehener TV-Kommentator gewesen. Trotzdem hatte er keine Probleme, einen Draht zu den Spielern zu finden. „Für alles hat er eine Antwort“, staunt der Spanier Pau Gasol über den weißhaarigen Basketball-Veteranen.

Team-Basketball steht ganz oben in Memphis. Die Grizzlies haben die drittmeisten Assists der Liga hinter Sacramento und Jason Kidds New Jersey vorzuweisen. „Am besten spielen wir, wenn fünf oder sechs Leute zweistellig punkten“, sagt Hubie Brown. Der Coach bevorzugt eine Zehner-Rotation, sodass jeder Spieler genug Pausen erhält, was vor allem der Defense zugute kommt. Bei Blocks und Steals liegen die Grizzlies ganz vorn. „Eine Mannschaft besteht nicht aus fünf Leuten, welche die ganze Zeit über spielen“, sagt auch Jerry West. Topscorer und Toprebounder ist Pau Gasol, ein anderer wichtiger Mann in Browns Konzept James Posey, der aus Houston kam und für den Trainer so was wie den idealen Profi darstellt. „Man kann sich keinen Besseren an beiden Enden des Spielfeldes, in der Kabine und auch sonst wünschen.“ Posey, der schon an eine künftige Trainerkarriere denkt, gibt das Lob zurück und erklärt Brown zu seinem Vorbild. „Ich mache mir ständig Notizen.“

Auch mit schwierigeren Typen gibt es bisher keine Probleme. Bonzi Wells etwa kam mit dem Ruf eines Unruhestifters aus Portland. Alles vergessen, spiel einfach, erklärte ihm Brown. Das tut Wells bisher ebenso brav wie hervorragend. Der geniale Spielmacher Jason Williams, der einst in Sacramento mit seinen erratischen Aktionen manches Match allein vergeigte, hat unter Hubie Browns Ägide zu beachtlicher Reife und Konstanz gefunden. Mittlerweile ist er der Starting Point Guard mit dem besten Assist/Turnover-Verhältnis in der gesamten Liga, weit vor Leuten wie Kidd, Payton, Marbury, Cassell, Parker, Bibby oder Nash. Beeindruckend auch die Nervenstärke der jungen Grizzlies. Wenn sie nach drei Vierteln führen, gewinnen sie fast immer. Nur einmal ging die Sache noch schief.

Den Respekt der Konkurrenz haben sie sich jedenfalls erworben. „Eines der besten Teams der Liga“, meinte Steve Nash letzte Woche nach der Niederlage seiner Dallas Mavericks in Memphis. Ein Lob, das sogar dem erfolgsverwöhnten Jerry West ein Lächeln entlockt haben dürfte.

MATTI LIESKE