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Archiv-Artikel

american pie Die Superlative reichen nicht aus

Der beste Basketballer der gerade mal einen Monat alten NBA-Saison ist ein 19-Jähriger: LeBron James von den aufstrebenden Cleveland Cavaliers

Es sah so aus, als hätte da jemand etwas klarzustellen, als die Basketballer von den Cleveland Cavaliers kürzlich gegen den amtierenden NBA-Champion Detroit Pistons antraten. Deren Coach ist Larry Brown, der im Sommer auch das Team der USA betreute, das bei den Olympischen Spielen in Athen drei Spiele verlor und am Ende mit Bronze heimreiste. Und der inzwischen unumstrittene Star der Cavs ist der 19-jährige LeBron James, der zwar mit in Griechenland war, dort aber nur wenig Einsatzzeit von Brown bekam. Beide Seiten bestritten, dass es irgendwelche Animositäten zwischen ihnen gebe. „Es war ja nicht so, dass ich keinen Spaß hatte“, sagt James über Olympia, „ich hätte nur gern mehr von meinem Talent gezeigt. Es gibt keine bösen Gefühle.“

Teamkollege Jeff McInnis hatte anderes beobachtet: „Er hat nichts zu uns gesagt, aber ich glaube, er wollte es ihm zeigen.“ Das gelang. LeBron James sorgte mit 43 Punkten, sechs Rebounds und fünf Assists für einen klaren 92:76-Sieg gegen den Meister, und Brown musste einräumen: „Eine der besten Vorstellungen, die ich je gesehen habe.“ Und ein bisschen peinlich für den Coach, zumal neben LeBron James auch Amare Stoudemire in Phoenix, Dwyane Wade in Miami und Carlos Boozer in Utah zu den auffälligsten Akteuren der laufenden NBA-Saison zählen – drei weitere junge Spieler, die Larry Brown in Athen mit Vorliebe auf der Bank platziert hatte.

Keiner reicht jedoch zur Zeit an LeBron James heran, der gerade zum zweiten Mal „Spieler der Woche“ in der NBA wurde. Auch er wird sicher noch seine Tiefs haben, doch wenn die Wahl zum MVP (Most Valuable Player) der Liga jetzt stattfände, wäre er der aussichtsreichste Kandidat. Seine Ankündigung in einem Werbespot der Liga, im Schnitt ein Triple-Double, also zweistellige Werte in drei Kategorien, schaffen zu wollen, ist zwar scherzhaft gemeint, weit entfernt davon ist er jedoch nicht. Nach 14 Saisonspielen stehen für ihn 26,3 Punkte, 7,8 Rebounds und 6,1 Assists zu Buche. Aber was noch wichtiger ist, die Cavaliers sind mit neun Siegen das drittbeste Team der Eastern Conference hinter Miami und Indiana, ihr bester Start seit langem. „Wir haben nicht genügend Superlative für diesen Burschen“, sagt Coach Paul Silas über LeBron James, „letzte Saison war alles nur Athletik, diese Saison versteht er das Spiel.“

Vor allem aber verstehen die Teamkollegen inzwischen, was sie an dem stämmigen 2,03m-Guard in dessen zweitem NBA-Jahr haben. Es gibt keine Eifersüchteleien mehr, auch die altgedienten Veteranen scheinen nunmehr zu akzeptieren, dass die Führungsrolle im Team ein 19-Jähriger innehat. Darbietungen wie jene gegen Phoenix, wo James mit 15 Punkten in den letzten fünf Minuten maßgeblich daran beteiligt war, einen 19-Punkte-Rückstand aufzuholen und dann in der Verlängerung zu gewinnen, untermauern diese Position ebenso wie seine imposante Wurfquote von 51,5 Prozent insgesamt, 35,7 Prozent von jenseits der Dreierlinie. Bei Olympia hatte seine Feldwurfquote im Übrigen sogar fast 60 Prozent betragen, das Herz von Larry Brown konnte aber auch das nicht erweichen.

Es ist jedoch weniger seine Fähigkeit als Scorer, sondern seine Vielseitigkeit und Mannschaftsdienlichkeit, die James zum dominierenden NBA-Spieler des nächsten Jahrzehnts zu prädestinieren scheinen. Manche Kommentatoren vergleichen ihn bereits mit der Legende Oscar Robertson, andere mit Magic Johnson, Larry Bird oder Michael Jordan, alles Leute, die ihr Team führen konnten und neben dem Punktesammeln auch in den Kategorien Rebounds und Assists glänzten. Das Verblüffende ist, dass James diese Fähigkeiten schon so früh entwickelt hat, vieles von dem, was Jordan oder Magic erst im Laufe der Zeit lernten, scheint ihm einfach im Blut zu liegen.

Dass Auftritte wie jene gegen Detroit oder Phoenix auch ihre Nachteile haben, durfte LeBron James am Montag bei der 82:94-Niederlage gegen die Los Angeles Clippers erfahren, ein anderes Team, das drauf und dran ist, sein Image des ewigen Losers abzulegen. Da schwirrten ständig zwei bis drei Gegenspieler um James herum und machten ihm das Leben auf dem Platz zur Hölle. „Wir müssen uns daran gewöhnen“, sagte Coach Silas, „dann müssen eben andere in die Bresche springen.“ Gegen die Clippers klappte das nicht, der Einzige, der in die Bresche sprang, war mit 22 Punkten, 7 Rebounds, 5 Assists und 6 Steals – LeBron James.

MATTI LIESKE