alarmbereit in der jahresendzeit (2) : Geruchsrichtung Bratapfel bitte unter die Räder
Meine Freundin hat passend zur Saison eine Tannenallergie entwickelt. So etwas Besonderes ist das eigentlich nicht, sie ist ohnehin Multiallergikerin: Für sie gibt es ungefähr zwei Tage pro Jahr, an denen nicht irgendetwas fliegt, wovon sie eine dicke rote Nase bekommt. Ausgerechnet jetzt also die Tannenzweige.
Zuerst hat sie auf eine Bierunverträglichkeit getippt, aber ich habe gleich gesagt: Denk an das Unwort des Jahrhunderts, das „Deutsche Reinheitsgebot“, da kann doch in deinem kleinen kalten Beck’s nichts Schlechtes drin sein! Wobei mir die Spießer von der Gesellschaft für Deutsche Sprache einfallen, die wie jedes Jahr eine unmögliche Wort-des-Jahres-Wahl getroffen haben: Bundeskanzlerin geht mir definitiv am Popöchen vorbei. Aber was erwartet man. Wo die schon sitzen, die feinen Herren. In Wiesbaden. Das stellt ja wohl einiges klar. Meine Freundin hat jedenfalls einen kleinen glitzernden Discotannenbaum gekauft, aus silbernen Plastikfetzen, unter den nur leider kaum Geschenke passen. Aber heutzutage schenken sich ja ohnehin alle nur noch DVDs, die sind ja nicht so hoch, nicht mal die doppelten.
Apropos Geschenke: Meine Schwester hat sich eine Ofenreinigung geschenkt, damit sie diesen Winter überlebt. Das klingt, wenn man darüber nachdenkt, fast so rührend wie die Geschichte von der Frau, die ihre langen Haare abschneidet, um ihrem Mann ein neues Uhrenarmband bezahlen und unter den Baum legen zu können. Der Mann wiederum schenkt ihr goldene Haarspangen, für die er seine Uhr verkaufen musste … Bei meiner Schwester ist es also glücklicherweise wieder muckelig warm – und ich hatte schon überlegt, ob ich ihr aus Schelmerei die Votivkerze weitergeben soll, die in der Weihnachtstüte meines besten Freundes war. Die macht nämlich mal wieder klar und deutlich, dass die einzige Kerze, die man im Haus haben darf, in die Nähe des Sicherungskastens gehört und auch nur angezündet werden darf, wenn die Taschenlampenbatterien gesundheitsschädlich ausgelaufen sind: Sie ist nicht nur dämlich rot, sondern hat auch noch die Geruchsrichtung „Bratapfel“.
Wenn ich die Gesellschaft für Deutsche Sprache wäre, ich hätte „Votivkerze“ schon vor Jahren verbieten lassen. Bei meiner Schwester, das wäre klar, würde die Votivkerze auch im Falle eines Stromausfalls nicht zum Einsatz kommen, schließlich braucht sie ja nur die Ofenklappe aufzumachen, um dann im flackernden Licht den überteuerten Feiertagselektrikernotdienst anzurufen. Und so wäre man sozusagen für alle Tage vor scheußlichem künstlichen Bratapfelgeruch sicher.
Aber dann hab ich die Kerze stattdessen doch einfach auf die Straße rollen lassen und mich drauf verlassen, dass innerhalb von drei Minuten ein Lkw drüberfährt. Ich finde, Wachs gehört in Stifte oder von mir aus auf sich aufbäumende gefesselte Männerkörper. Aber nicht in Kerzen. Siegellack ist dagegen etwas ganz anderes, damit habe ich in diesem Jahr wieder angefangen: Ich habe meine Mehrwertsteuerabrechnung für das dritte Quartal mit einem wunderschön ornamental verzierten „J“ versiegelt, und für das vierte Quartal nehme ich die Rose. Vielleicht denkt der Steuerbeamte dann ja, der Brief sei von Umberto Eco oder ich sei Mitglied bei der „Priory of Sin“. Hoffentlich ist er nicht zu sehr enttäuscht, wenn er drinnen nur die langweiligen Spesen- und Bewirtungsquittungen einer Lohn-und Brotschreiberin findet. JENNI ZYLKA