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ach, europa"Was heißt, im Stich gelassen?"

SPD-Europa-Abgeordnete Karin Jöns erklärt, warum ihre Partei das Solidaritätsprinzip aufgegeben hat, welche Wahlchancen sie sich auf Platz 25 ausrechnet - und wieso sie sich für ihre grüne Kollegin Helga Trüpel freut INTERVIEW VON CHRISTINE SPIESS

Plenarsaal in Brüssel: Von den 785 Sitzen okkupiert Deutschland derzeit 99 und Bremen zwei. Bild: DPA

taz: Frau Jöns, freuen Sie sich für Helga Trüpel?

Karin Jöns: Aber selbstverständlich. Helga Trüpel steht auf Platz 9 der grünen Liste, 13 Grüne kamen das letzte Mal rein - das ist schön für sie, wenn sie wieder ein Mandat bekommt. Und jeder Abgeordnete für Bremen ist natürlich gut. Wir haben allerdings völlig andere Arbeitsfelder. Eine Frage ist vielleicht, was für Bremen besonders wichtig ist.

Wie sehen Sie denn Ihre eigenen Chancen?

Das muss man erst mal abwarten. Die Partei steht ja im Moment nicht gerade gut da. Und der Listenplatz macht es nicht einfacher.

Bild: kw
Im Interview: 

KARIN JÖNS, Jahrgang 1953, ist seit 1994 Europaabgeordnete und seit 1973 SPD-Mitglied. Die gebürtige Kielerin wechselte nach einer Journalistinnen-Karriere 1980 in die Verwaltung, zunächst als Pressereferentin des Bremer Senators für Bundesangelegenheiten mit Dienstort Bonn. Nach einem Intermezzo in der Staatskanzlei NRW trat sie 1987 wieder in bremische Dienste: Sie baute die Vertretung der Freien Hansestadt bei der EU in Brüssel auf. Sie ist Mitglied des EP-Ausschusses für Beschäftigung und Soziales und war von 2000 bis 2007 Präsidentin des Vereins Europa Donna Deutschland, der sich dem Kampf gegen Brustkrebs verschrieben hat.

WAHL DER KLEINEN

Die Europawahlen finden in Deutschland am 7. Juni statt. Vor allem bei den kleineren Parteien sind sie beliebt: So hatte die PDS von 1999 an kontinuierlich Abgeordnete im Brüssel-Straßburger Parlament, die Grünen erreichen hier meist ihre Rekord-Resultate - und im Schnitt 10 Prozent der Stimmen verteilen sich auf Sonstige. Eine Ursache: Den Großparteien fällt es schwer für die Supranational-Wahlen ihre Anhänger zu mobilisieren - und allen voran der SPD: Durchschnittlich lag deren Ergebnis in den vergangenen 15 Jahren um 12,03 Prozent niedriger als bei den zeitnächsten Bundestagswahlen. Und der Abstand wächst: 1994 erhielt die SPD 6,1 Prozent weniger Stimmen bei der Europa- als bei der Bundestagswahl, 2004 erreichte sie mit 21,5 Prozent fast 17 weniger als bei den vorgezogenen Neuwahlen 2005. TAZ

Vor fünf Jahren haben 23 SPD-Kandidaten den Sprung ins Parlament geschafft…

... und ich steh diesmal auf Platz 25. Das ist natürlich das Ergebnis dessen, dass wir ein kleines Bundesland sind.

Das war Bremen doch 2004 auch schon!

Früher galt aber ganz klar ein Solidaritätsprinzip für große und kleine Landesverbände bei der Bundesliste. Es gab auch ein Leistungsprinzip. Diese Kriterien sind 2007 aufgegeben worden. Da haben sich die großen Landesverbände durchgesetzt.

Womit?

Seither gilt ein Parteitagsbeschluss, der drei klare Kriterien benennt, nach denen die Liste aufgestellt wird: Die Mitgliederzahl eines Landesverbandes, die Einwohnerzahl des Bezirks - und das Wahlergebnis. Aber dass wir seit 1999 mit Abstand die besten Wahlergebnisse hatten, dass wir bei der letzten Europawahl 10 Prozent überm Bundesdurchschnitt lagen,wiegt natürlich nicht auf, dass Bremen bei den anderen beiden Kriterien so weit abgeschlagen ist.

Fühlen Sie sich von Ihrer Partei im Stich gelassen?

Was heißt, im Stich gelassen? Platz 25 ist nicht gerade, was man sich wünscht. Ich bin stellvertretende Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten und parlamentarische Geschäftsführerin. Ich nehme für mich in Anspruch, eine gute Arbeit zu machen, ich bin die einzige Sozialpolitikerin von uns deutschen Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. Aber Parteitagsbeschlüsse muss man respektieren.

Ihre Schwerpunkte sind Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. Wie wichtig ist der SPD die Arbeitsmarktpolitik?

Für die SPD war ausschlaggebend: Wie stark sind die Landesverbände, wie viele Einwohner hat der Wahlbezirk, wie waren die Wahlergebnisse. Hinter mir kommen noch Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Der ganze Osten und Bremen sind von den großen Landesverbänden nach hinten geschoben worden auf der Liste.

Waren Sie enttäuscht?

Ich hätte mir schon einen anderen Listenplatz gewünscht. Aber wenn die Luft dünner wird gibt es Machtkämpfe.

Im Juli 08 hatten Sie über die bevorstehenden Beratungen zur Europa-Wahlliste erklärt, es gehe dabei für den Bremer Landesverband um alles oder nichts. Platz 25 - heißt das jetzt: es war alles nichts, oder…?

Da ist ja noch alles drin. Da muss man kämpfen. Es wird schwierig. Aber ich gehe mal davon aus, dass meine Partei nicht wieder so ein schlechtes Ergebnis wie bei der letzten EU-Wahl einfährt. Das war ja das schlechteste, das wir je gehabt haben.

Was hieße es für Bremen, wenn Sie nicht reinkommen?

Bremen hat dann niemanden mehr in dem für uns sehr wichtigen Bereich der Beschäftigungs- und Sozialpolitik.

Was wollen Sie machen, dass Sie gewählt werden?

Das liegt ja nun nicht alleine in meiner Hand. Das liegt an der Gesamtstimmung: Wie steht die Bundespartei da? Ich persönlich werde genau so engagiert wie bisher mein Mandat ausüben: Ich bin im Vermittlungsausschuss für die Arbeitszeitrichtlinie, um zu verhindern, dass wir eine 60-Stunden-Woche bekommen. Ich sitze an einem wichtigen Bericht an das Europäische Parlament darüber, wie im Zuge der Wirtschaftskrise Struktur- und Sozialfonds-Gelder unbürokratischer und schneller in die Regionen fließen können. Und ich hoffe, dass wir das in sechs Wochen noch beschließen. Davon würde auch Bremen profitieren. Das sind meine ganz konkreten Arbeitsfelder und die werde ich bis Mai beackern.

Und dann?

Dann ist Wahlkampf und im Juni habe ich entweder Glück, dann komme ich rein. Oder ich habe Pech. Dann bin ich nicht drin.

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