■ Zwischen humanitärer und politischer Intervention: Die UNO-Schizophrenie in Bosnien
Larry Minear ist senior fellow bei der „Refugee Policy Group“, einem Institut in Washington, das sich mit der internationalen Flüchtlingsproblematik befaßt. Zusammen mit dem Politikwissenschaftler Thomas Weiss leitet Minear das „Humanitarianism and War Project“, das zuletzt im Auftrag der UNO deren humanitären Einsatz im Irak untersucht und ausgewertet hat und nun eine entsprechende Studie über die Rolle der Vereinten Nationen im ehemaligen Jugoslawien durchführt.
taz: Sie haben kürzlich in einem Zeitungsartikel die Vermutung geäußert, daß die UNO nach einem endgültigen Scheitern der Vermittlungsversuche in Bosnien zum Sündenbock abgestempelt wird ...
Minear: Vor allem die Organisationen, die mit humanitärer Hilfe befaßt sind, befinden sich in einer no win-Situation: Sie geben sich alle Mühe, vor allem den Menschen in Bosnien Hilfslieferungen zugänglich zu machen; gleichzeitig verschärft der Krieg, und die Kriege innerhalb dieses Kriegs, das Leiden für Zivilisten. Nicht nur werden die Hilfsorganisationen ständig daran gehindert, die Opfer in der Zivilbevölkerung zu versorgen; es steigt auch ununterbrochen die Zahl der Menschen, die Hilfe brauchen. Das endgültige Scheitern der internationalen Völkergemeinschaft im Fall Bosnien – wenn man es denn demnächst konstatieren muß – liegt mehr an deren Versagen, eine politische und diplomatische Strategie zu entwickeln, und weniger an den humanitären Bemühungen.
In Ihrer Studie über die Effektivität der humanitären Aktionen der UNO während des Golfkriegs und während der Flüchtlingstragödie der Kurden haben Sie die Frage gestellt, inwieweit eine humanitäre Intervention überhaupt parallel zu einer politisch-militärischen Strategie durchgeführt werden kann, ohne die Probleme am Ende zu vergrößern. Stellt sich in Bosnien nicht das umgekehrte Problem? Kann eine humanitäre Intervention ohne politische und notfalls auch militärische Strategie Erfolg haben?
Das ist natürlich das größte ungelöste Problem im Fall des ehemaligen Jugoslawien: Hier gibt es einen humanitären Einsatz, der mit keiner politischen Lösungsstrategie abgestimmt ist. Allerdings hat die UNO auch politische und militärische Schritte eingeleitet; folglich lassen sich ein paar Parallelen zwischen Bosnien und der Golfkrise ziehen: In beiden Fällen hat die UNO zum Beispiel Wirtschaftssanktionen und Flugverbote verhängt – Maßnahmen also, die sie bei den Leuten unpopulär gemacht hat, auf deren Kooperation sie angewiesen ist, um humanitäre Hilfe zu leisten. Im Irak wie in Bosnien haben sich die Vereinten Nationen in eine schizophrene Lage gebracht. Diese Schizophrenie wird dann dadurch deutlich, daß zum Beispiel Mitarbeiter des UNHCR (des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, d. Red.) das Vertrauen der Bevölkerung und der Behörden dadurch herzustellen versuchen, indem sie sich deutlich von den Blauhelmen distanzieren, die in bestimmten Phasen äußerst feindselig empfangen wurden. Das führt zu einer merkwürdigen Spaltung in eine „gute“ und eine „böse“ UNO.
Nun hat sich die UNO in Bosnien, vor allem in Srebrenica, ganz massiv dadurch ins Zwielicht gesetzt, daß sie durch die Entwaffnung der muslimischen Truppen die Stadt faktisch den Serben ausgeliefert hat. Zerstören solche Aktionen nicht auf unabsehbare Zeit jede Glaubwürdigkeit – sei es als humanitäre Institution, sei es als Institution zur Konfliktlösung?
Solche Aktionen unterminieren zweifellos die Glaubwürdigkeit. Srebrenica ist da nur ein Beispiel. Es gibt viele mehr. Ich glaube, daß das Verhalten der Blauhelme in Bosnien häufig dem Ehrenkodex der Mitarbeiter von UN-Hilfsorganisationen zuwidergelaufen ist.
Ein zentrales Problem der UNO-Einsätze ist die bereits erwähnte „schizophrene“ Rolle der UNO als politischer und militärischer Akteur einerseits und als Garant humanitärer Hilfe andererseits. Was raten Sie Ihrem Klienten, der UNO, für die Zukunft?
Es gibt von unserem Projekt einige vorläufige Empfehlungen. Zum einen muß die UNO, die ja zunehmend aus humanitären Motiven heraus in Konflikte interveniert, ein System entwickeln, mit dem auf regelmäßiger Ebene humanitäre Krisen ausgewertet werden. Als sich die UNO zum Beispiel voll auf die Situation in Somalia konzentrierte, gab es gleichermaßen schwere Krisen im Sudan und in Liberia. Wenn die Vereinten Nationen mit ihrem humanitären Auftrag glaubwürdig bleiben wollen, dann muß ihre Aufmerksamkeit für Krisensituationen gleichmäßig verteilt sein.
Ganz grundsätzlich sind die Chancen für eine zunehmende politische Glaubwürdigkeit der UNO insofern größer geworden, als die neue US-Administration den Vereinten Nationen nicht nur eine größere Rolle einräumen will, sondern auch mehr als ihre Vorgängerinnen bereit ist, von Aktionen Abstand zu nehmen, die nicht mit einem multilateralen Vorgehen vereinbar sind.
Was das Problem der „Schizophrenie“ betrifft: Der Sicherheitsrat, der sich ja zunehmend mit Problemen humanitärer Hilfe befaßt, sollte auf regelmäßiger Basis humanitäre Erwägungen in seine Entscheidungen miteinbeziehen. Das könnte vor allem das „Department for Humanitarian Affairs“ (DHA) innerhalb der Vereinten Nationen gewährleisten, das durch einen Untergeneralsekretär repräsentiert ist.
Angenommen, der Sicherheitsrat zieht aufgrund der jüngsten Eroberungspolitik ähnliche Sanktionen gegen Kroatien in Erwägung, wie sie gegen Serbien eingeleitet wurden. Was wäre nach Ihren Vorschlägen die Rolle des „Department for Humanitarian Affairs“?
Bevor der Generalsekretär ein solches Embargo empfiehlt oder die Mitglieder des Sicherheitsrats darüber abstimmen, würde der Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten darlegen, welche Konsequenzen ein solches Embargo für die Zivilbevölkerung hätte.
Das befreit die UNO aber noch nicht aus ihrer schizophrenen Rolle, in einer und derselben Region einerseits Sanktionen durchzusetzen oder gar militärisch einzugreifen und andererseits humanitäre Hilfe zu leisten ...
Das Dilemma ist: Es gibt keinen integrierten Ansatz. Noch nicht. Aber eine stärkere Rolle des DHA könnte heißen, daß durch eine UN-Entscheidung für ein Wirtschaftsembargo gegen ein bestimmtes Land die humanitäre Hilfe für die betroffene Zivilbevölkerung aufgestockt werden könnte. Es gibt einen weiteren, sehr viel radikaleren Vorschlag, den wir auch im Rahmen unserer Studie mitdiskutieren: Demnach würde in Bürgerkriegskonflikten, in denen die UNO eine militärische Rolle einnimmt, die Aufgabe humanitärer Hilfe an unabhängige internationale Organisationen übergeben, die nicht mit den Vereinten Nationen assoziiert sind. Oder an Regierungen, die in diesem Konflikt keine Partei ergriffen haben, aber bereit sind, humanitäre Hilfe zu leisten.
Generell muß man festellen, daß die UNO, was das gesamte Bild ihrer Einsätze in Somalia, Kambodscha und Bosnien angeht, gerade mal am Anfang steht, ihr großes Dilemma zu lösen: In allen drei Einsätzen ist sie auf humanitärer, militärischer und politischer Ebene involviert. Und bislang ist auf keiner Ebene geklärt, wie die Abstimmung mit den beiden anderen ablaufen soll. Gespräch: Andrea Böhm
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