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Archiv-Artikel

Zwischen den Rillen Die Essenz von Americana

Timesbold, Vinny Miller und Altmeister Will Oldham durchqueren die staubige Wüste des Independent-Country

Es waren einmal die Palace Brothers oder Palace Music, Palace Songs oder schlicht Palace, verschiedene Inkarnationen des Independent-Country-Meisters Will Oldham. Musik, die nur aus sich selbst zu sprechen schien, die stillstand und leuchtete, so zerbrechlich war sie, traurig und zugleich hoffnungsvoll, schön und reduziert und die Essenz von Americana.

Und weil sie nicht gestorben ist, die Musik, auch wenn die verschiedenen Paläste seit 1997 nicht mehr stehen, lebt diese Musik weiter. Lebt in anderen Bands, lebt nun sogar in der Großstadt, in Brooklyn, New York, lebt in Timesbold. Deren zweites Album „Eye Eye“ ist im Vergleich zu ihrem Debüt zwar ein Ausbund an Fröhlichkeit, aber absolut gemessen gerade mal so schnell, wie man sein muss, um der Wüste beim Austrocknen zusehen zu können. Dabei wird man notgedrungen melancholisch, weshalb Jason Merritt seine Stimme nur selten hebt und jeder fragilen Falte in seinen Stimmbändern so ausgiebig nachforscht, dass diese jeden zweiten Augenblick zu Ersterben droht. So entstehen dann Songs, die nicht umsonst „All Blues“ heißen, Songs mit düsteren Schwingungen, spartanisch hingetupften und immer ein wenig kaputt klingenden Instrumenten, die sich fügsam auch in Palace-Platten einschmiegen würden.

Vinny Miller und sein Debütalbum „On the Block“ wiederum sind der Beweis, dass man nicht mal Amerikaner sein muss, um verträumt einem vom Wüstensand quer über die Straße wehenden Busch nachzublicken. Der in London heimische Sänger flüstert eher, als dass er singt, seine Stimme macht sich in Höhen auf, die fürchten lassen, sie könnte abstürzen, aus dem verlorenen Schrammeln seiner abgenutzten Gitarre schält sich eine zum Sterben schöne Melodie.

Hin und wieder zwar meint er, die Melancholie brechen zu müssen. Dann kickst er kindisch herum oder bläst ein Trompetensolo mit den Lippen, das dann ein wenig wie ein lang gezogener Furz klingt. Diese kleinen Gimmicks aber schaffen eine wohltuende Distanz zur mitunter allzu wohlig klingenden Miesepetrigkeit, die sich bisweilen in ein schwer erträgliches, selbst besoffenes Pathos hoch schraubt.

Auch der Meister selbst kehrt derweil zu diesen seinen Wurzeln zurück, die Timesbold und Vinny Miller so ausgiebig zitieren. Palace-Mastermind Will Oldham veröffentlicht schon seit Jahren unter dem Alter Ego Bonnie Prince Billy und hat nun unter diesem Namen alte Palace-Songs neu eingespielt: „Bonnie Prince Billy Sings Great Palace Music“. Mit dem Country, wie man ihn eher nicht kennen möchte, hatte diese Musik damals nur die Instrumentierung gemein. Nun hat Oldham in Nashville mit einigen der besten der dort ansässigen Studiomusiker eine Platte aufgenommen. Aufgeräumt geht es zurück zu den Country-Wurzeln der Americana, tummeln sich Steel Guitar und Fiedeln, gibt es sogar die eine oder andere Interpretation, zu der man einen Square Dance wagen könnte – wenn auch in Zeitlupe. Indem er sich in die Höhle des Löwen begibt, verhindert er, sich selbst zu plagiieren.

Was in den Originalen noch verzweifelt war, ist nun sentimental, was verloren wirkte, ist nun geerdet. Dies ist nicht mehr Country Noir, sondern schillert in einem satten Blau. Oldham sucht seine eigene Vergangenheit heim, spielt seine eigenen Songs noch einmal in vergleichsweise polierten Versionen ein: das wird manchen langjährigen Verehrer enttäuschen, aber allen endlich vor Augen führen, dass man es hier mit einem der größten Songschreiber und Sänger unserer Tage zu tun hat.

Ob man sich nun vom Original oder seiner zweiten Reinkarnation, von den Epigonen oder von allen zusammen einen lieben langen Tag beschallen lässt – und Selbstversuche haben das zweifelsfrei bewiesen – man muss sich wider Erwarten keinen Strick nehmen. Vielmehr sorgt diese Musik dafür, dass alle Unbill von einem abfällt und einem die Boshaftigkeit der Welt nichts mehr anhaben kann. Es ist fast, als übernähmen Oldham und seine Jünger das Leid ihrer Hörer, quälen ihre Gitarren stellvertretend für einige Minuten und bringen, indem sie die Stimmbänder abraspeln, ein Opfer. Am Ende ist man geläutert und eins mit sich, dem Klang dieser Musik ausgeliefert und wieder bereit für die Schönheit des Lebens.

THOMAS WINKLER

„Bonnie Prince Billy sings Greatest Palace Music“ (Domino/ Rough Trade), Vinny Miller: „On the Block“ (4AD/ Beggars Group/Indigo), Timesbold: „Eye Eye“ (Glitterhouse/ Indigo)