Zwischen den Rillen : Aus großer Tiefe an die Oberfläche: Zoot Woman
Atom-U-Boot ruft Discodampfer
Oh Gott, ist das etwa Sting?, war die erste Reaktion einer Bekannten auf den Song, mit dem die britische Band Zoot Woman vor zwei Jahren ihr Debütalbum „Living In A Magazine“ eröffnete. Das Stück hatte nur vier Zeilen, die der Sänger Johnny Blake wie ein Mantra wiederholte. Vier Zeilen, die im Grunde alles verhandelten, was über das Leib-Seele-Problem in einem Popsong gesagt werden kann: „I’ve got a feeling / It’s automatic / It’s a physical feeling / I’m gonna change this city!“ Dem folgten zehn Tracks, die so perfekt und professionell, aber auch glatt und kühl klangen, dass sie nicht nur einen einsamen Höhepunkt des Popjahres 2001 bildeten, sondern auch zahlreiche Missverständnisse nach sich zogen.
Den drei Bandmitgliedern, allesamt geboren zwischen 1977 und 1981, wurde vorgeworfen, sie würden den Fundus der Achtziger von Visage bis Roxy Music plündern und in ihren Designeranzügen nichts anderes machen als Happy-go-lucky-Begleitpop für Modenschauen und Fashionpartys. Gnadenlos retro, forever young: Die Band wurde behandelt, als wären sie die kommerziellen Abzocker des Jahres.
In einer gewissen Weise geschah ihnen das sogar recht. Denn tatsächlich hielten sich Zoot Woman, bestehend aus Stuart Price (Gitarre, Keyboards) sowie den Brüdern Adam (Schlagzeug) und Johnny Blake, mit dem Übermut und der frühreifen Intelligenz von musikalischen Ausnahmetalenten auch selbst für das nächste große Ding. Doch dann floppte „Living In A Magazine“ – und zwar gründlich.
Es dürfte die eigenartige Mischung aus Melancholie und Oberflächlickeit gewesen sein, die dem großen Chartserfolg entgegenstand. Da gab es Songs, die von den letzten großen Ferien handelten, aus der Mitte der Jugend heraus geschriebene einsame, elegische Erinnerungen an den Sommer. Und so sehr sich der Songwriter Stuart Price von den Achtzigern faszinieren ließ – so richtig passten Zoot Woman dann doch nicht in das beginnende Revival, denn so ganz geheuer schienen jene Jahre Price dann doch nicht zu sein. Wie gespenstisch musste diese Dekade im Nachhinein auch auf jemanden wirken, der sie gar nicht bewusst mitbekommen haben konnte? Es blieb ein Eindruck von zu früh erreichter Vollendung. Eine Weiterentwicklung der Band konnte man sich nur schwer vorstellen, von einem zweiten Album ganz zu schweigen.
Umso erstaunlicher deswegen die Selbstverständlichkeit, mit der die Platte in diesen Tagen einfach erschienen ist. Denn beim ersten Hören von „Zoot Woman“, dem selbst betitelten zweiten Album, will sich überraschenderweise so gar keine Überraschung einstellen. Die Band klingt so frisch und vertraut wie auf ihrem Debüt, nur noch schlanker und noch minimalistischer. Sie hören sich an, als wäre es bloß konsequent, dass man mit seinem zweiten Album auch gleich in einer höheren Liga spielt.
Um diesmal keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: „Zoot Woman“ von Zoot Woman ist ein Meisterwerk. Die Songs sind leicht tanzbare Kontemplationen zu perfidestem Drum-Programming: Düster hallende Housebeats werden wie Signale von längst versunkenen Atom-U-Booten aus atlantischen Tiefen hinaufgesendet zum alten Ozeanriesen Disco, wo die Party munter weitergeht. Nur einige pseudoerratisch abgehackte Sequenzen sind ganz offenkundig – wozu war Stuart Price schließlich als musikalischer Direktor ihrer Begleitband mit Madonna auf Welttournee? – bei deren Produzenten Mirwais abgekupfert. Die Texte dazu sind noch kürzer und noch knapper geworden. Zeilen wie von Kraftwerk, in bestem Gebrauchsanleitungs-Englisch: „Love you go down / make a promise and break / green light all the way to a grey day“ („Grey Day“). Das ist ebenso allgemeinverständlich wie unauflösbar: Implodierende Imperative aus dem Herzen einer Moderne, die im beständigen Vergehen immer wiederkehrt. Genauso hört man diese Platte wieder und wieder, mit immer neuen Assoziationen.
Dennoch bleiben Zoot Woman eine hochmodische Band, die jetzt nur gelassener mit den eigenen Ansprüchen umgehen kann. Auf der Internationalen Funkausstellung gab Johnny Blake vor kurzem komplett in Jeans, Jacke wie Hose ein Radiointerview und wurde gefragt, ob die Band nun auch auf der Bühne so rumlaufen würde. Oh no, antwortete Blake in entschiedenstem britischem Englisch und mit einer tiefen Stimme, die beruhigenderweise so gar nicht zu der großartigen Kim-Wilde-Weinerlichkeit seines Gesangs passt. Das hier sei nur seine casual wear, live würde man nach wie vor im Anzug auftreten, of course.
Alles weitere zu der Frage, wie viel Perfektion und Professionalismus (und Professoralismus) Pop noch verträgt, in zwei Wochen. Dann kommt Sting.
ANDREAS MERKEL
Zoot Woman: „Zoot Woman“. Wall of Sound/Labels