Zwischen den Rillen: Kotzbrocken is back
■ Punkrocktechno als Party-Utopie: Billy Idol macht jetzt auf Cyberpunk
Nichts geht verloren: Kontinuierlich-diskontinuierlich mit dem Sein und Werden aller Dinge ausgestattet, steuern Pop und Punk und Rock'n'Roll dem messianischen Zeitalter entgegen. Elvis Presley, Sid Vicious und John Lennon sind tot, aber einer blieb auf Erden zurück: Billy Idol, Punk der ersten Stunde, Kurzzeit-Crackabhängiger und ansonsten auch für jeden Scheiß zu begeistern – sogar fünf Jahre nach Cyberspace noch für Cyberspace.
Laut Pressetext will er die Menschheit aus dem Joch der melancholisch-leeren Gegenwärtigkeit erlösen – was in der Praxis auf ein befreit gebrülltes „yeahhh“ hinausläuft: Dann heulen die E-Gitarren gemeinsam mit dem Kickstart einer Harley Davidson auf, während vom pechschwarzen Nachthimmel Magnesiumblitze, Konfetti, Luftschlangen und D-Netz-Telefone auf eine staunende Menschenmenge herabregnen, in der alle aussehen wie du und ich.
Kotzbrocken is back, und er hat den Zeitpunkt seiner Rückkehr gut gewählt: Direkt ins Sommerloch hinein verkündet Idol seine Microsoft-Version von Zarathustra. Als Helden erfindet er auf „Cyberpunk“, eine Art Ersatzpunk, eine Heilsfigur, die aus dem wasteland gekommen ist, um die Menschheit bei Sport, Spiel, Spannung zu einen. Oh yeahhh! Seinsmäßig ist es um die Welt ziemlich schlecht bestellt, wie Billy im Intro feststellt: Wir werden alle zu Cyborgs werden. Wir werden alle Maschinen werden. Guattari und Deleuze können sich ihre Deterritorialisierungskampagnen getrost ins Regal stellen, weil ab nun nämlich ein anderes für uns atmet, wärmt, ißt, scheißt und fickt: „computer crime/ um, so sublime/ a fantasy scene/ in my machine“ („Wasteland“).
Da ist mehr als bloß echtes Punkrockertum verlorengegangen. Der Ort, an dem sich die Cyber-Szenarien von Morgen wie Mittelalterspektakel abspielen, ähnelt – zumindest im Videoclip – dem guten alten Los Angeles, aus dem Fenster eines Bungalows an den Berghängen von Beverly Hills gesehen. Dort unten leben die „Tomorrow People“ als vereinsamte und gestrandete Biomasse, die blauen Augen tränennaß, in der Erwartung eines besseren Billy, der vom Bauch bis in die Bikerboots gestählt in der Gestalt des „Neuromancer“ und „Power Junkie“ den Weg aus dem Rebirthingtank zurück ins Tal findet. Vielleicht muß man sich Zarathustra heute ja wirklich wie einen blondiert gestachelten, oberlippenschwingenden Technopop-Terminator denken, der einem ohne steiermärkischen Akzent ins Gewissen redet: „You can rock this land baby, yeahhhh“ („Shock To The System“).
Bei aller dermaßenen Wut aber, mit der Idol als bekennender Revoluzzer endgültige Lebensgefühle für die Zukunft klärt, wie er sie in magischen, sozusagen verbotenen Büchern gelesen hat (ein special thank geht an Timothy Leary) – es macht auf Dauer keinen allzu großen Spaß, einem Erwachsenen mit durchgeladenem Gameboy zu folgen, der von einer Spielsituation zur nächsten in Abenteuer verwickelt wird: L.A. brennt und nur Du kannst löschen („Shock To The System“); Adam liegt in Ketten gefesselt und wird von einem Analyse-Onkel tiefenpsychologisch umgedreht, aber Du wirst ihn retten („Adam in Chains“).
Die Sorgen, die dem Haussohn an seinem inneren Auge vorbeiziehen, sind so abgestanden und blutleer, daß man sie besser stillschweigend übergeht: Die „shape of things to come“ oder der „ball of confusion“ bilden noch die Highlights unter den gnostischen Standards einer Welt, die man angeblich ständig neu erfinden kann, ansonsten reimt sich „right“ auf „light“. Perlen finden sich witzigerweise, wenn Billy böse Dinge zusammentexten will: „suck on my love meat, now suck on my steed“ heißt es in „Power Junkie“, etwa „sauge an meinem Liebesschinken, und nun saug an meinem Pferdchen“, das muß man erstmal reimmäßig auf den Stab bringen.
Merkwürdig auch, wie zweigespalten sich Idol durch das Soundgeflecht schlängelt. Zum einen ist er bemüht modern, andererseits schlägt das Herz eines Rockers in seiner Brust. Das alles reibt sich dann in einer Cover- Version von „Heroin“: Billy-Boy singt wie Alex Harvey, Raumschiffe gleiten durch Kathedralen, Gitarrenriffs tauchen an Gospel-Samples vorbei, und Schafe blöken friedlich im Off. Nichts stört hier niemanden, alles ravet miteinander auf eine kleine Ewigkeit, für die Maxi-Single sind sogar neun Fassungen davon gemixt worden.
Trotzdem scheint in seinem Punkrocktechno als Party-Utopie eine kleine Wesentlichkeit zu fehlen: Awopbopaloobopalopbamboom. Harald Fricke
Billy Idol: Cyberpunk (EMI)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen